Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
Vom Netzwerk:
der Wagen auf flüssigem Asphalt, Hans steht auf, die Kippe im Mundwinkel, sucht mit der linken Hand immer noch das Feuerzeug in den Taschen seines Jacketts.
    »Herr Pieczek?« Die Seitenscheibe auf der Beifahrerseite wird heruntergefahren.
    »Ja«, sagt Hans. Wer will das wissen?
    »Schön, Sie zu sehen«, sagt der Mann und beugt sich aus dem Fenster. Türke, denkt Hans. Oder sowas in der Richtung. Der Mann trägt ein graues Sakko über einem schwarzen T-Shirt, die dunklen Haare hat er zu einem Scheitel aus der Stirn gekämmt.
    »Schön, Sie zu sehen«, sagt Hans und geht ein zwei, drei Schritte in Richtung des Wagens, dessen Heck noch in der Toreinfahrt steht.
    »Entschuldigen Sie, dass wir zu spät sind«, sagt der Mann mit dem grauen Sakko, sein Arm hängt aus dem Fenster, und seine Hand berührt das silberne Metall der Seitentür, »aber die Stadt hat uns ein wenig aufgehalten.«
    »Schon in Ordnung«, sagt Hans, »ich warte erst seit zwei Stunden hier.«
    »Sie machen Scherze«, sagt der Mann und lächelt, jedenfalls kommt es Hans so vor, »nehmen Sie doch bitte meine Entschuldigung an. Darf ich Ihnen Feuer geben?«
    »Sie dürfen«, sagt Hans und geht an dem silbernen Stern vorbei zur Beifahrertür.
    »In Tokio ist es jetzt ungefähr null Uhr«, sagt der Mann mit dem grauen Sakko, bewegt den Arm langsam zwischen die Aufschläge seines Sakkos und hält Hans ein Feuerzeug hin. Ist ein grünes Einwegfeuerzeug, und Hans braucht ein paar Sekunden, um im Gegenlicht der Sonne zu erkennen, dass die kleine Flamme brennt. Er beugt sich runter, so dass seine Zigarette die Flamme des Feuerzeugs berührt. »Kein Raucherwetter, nicht wahr?«, sagt der Mann.
    »Nein, nicht wirklich.« Hans legt eine Hand aufs warme Dach des Wagens, schaut über die Schulter des Mannes im grauen Sakko, der seinen Kopf immer noch aus dem offenen Fenster streckt, schaut auf die Hinterbank, auf der zwei Männer sitzen, zurückgelehnt, entspannt, wie es scheint. Vorne zwei, hinten zwei, und das Geschäft ist gleich vorbei. Also gut abgewickelt. Ist’s ja schon. Shut up.
    »Was unser Geschäft betrifft, Hans …«
    »Nun, ich höre.« Hans beugt sich wieder vor, bläst den Rauch an dem Mann vorbei ins Innere des Wagens.
    »Im Prinzip ist ja alles geklärt«, sagt der Mann und dreht sich kurz zum Beifahrer um, ein kleiner dicker Türke, oder sowas in der Art , der scheinbar teilnahmslos und ohne sich groß zu rühren durch die Frontscheibe auf den Flachbau und in die Sonne blickt. Hans wirft seine Zigarette, von der er nur wenige Züge genommen hat, weg, bewegt den Arm, so dass er seine Glashütte sehen kann, und sagt: »In Tokio ist es jetzt genau dreißig Minuten nach Mitternacht.«
    »Bestens, dann können wir ja gleich ins Büro.«
    Hans hatte Lust zu bumsen. Scheiße, dachte er, was ist denn jetzt los? Er klopfte sich den Staub von den Schultern und lief durch Neukölln. Die Türen der Spielhallen waren geschlossen, in den getönten Scheiben sah er sein Spiegelbild, Hauptsache, kein Licht stört die Zocker, dachte er.
    Rathaus Neukölln, auf der anderen Straßenseite ein gläsernes Einkaufszentrum. Er ging kurz in den Eingangsbereich, stand still zwischen den vielen Menschen, die an ihm vorüberliefen, kamen und gingen, sah die Werbung eines Juweliergeschäftes, das in der oberen Etage war. Daneben die Werbung eines Buchladens im Untergeschoss. Bis zur Pannierstraße war es nicht weit. Als er merkte, dass er Lust aufs Bumsen hatte, war er in einen Zeitungsladen gegangen und hatte sich eine Bildzeitung gekauft. Und noch eine Berliner Tageszeitung, aber die brauchte er nicht, er hatte beim Studium der Annoncen was gefunden, das gleich ums Eck war. Eigentlich hatte er am Morgen noch vorgehabt, zu Mondauge zu fahren auf einen Schluck, aber dann fiel ihm ein, dass es den Laden gar nicht mehr gab.
    Hatte ihm vor kurzem jemand erzählt. War das nicht sogar AK gewesen? Aber der konnte ja nicht wissen, dass er in die Hauptstadt fuhr, keiner wusste, dass er hier Geschäfte machte. Und hier bewegten sich die Kulissen, und hier wurden die Silberdrähte neu verlegt. Und hier hatten die Engel fast alles übernommen. Der Mann hinter dem großen Hauptstadtspiegel war jetzt ein Türke. Was man so hörte, weit weg, in der kleinen großen Stadt, und doch nah. Aber was ging ihn dieser ganze Scheiß an? Hans hatte Lust zu bumsen. Verdammt, dachte er, was ist denn jetzt los.
    Er lief an unzähligen Spielhallen und Zockerbuden vorbei, die Sonne im Rücken, die

Weitere Kostenlose Bücher