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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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essen? Er lehnte sich an die Fliesen und ließ das Wasser über seinen Körper laufen. Wir denken heute wieder mal um viele Ecken. Hatte er einen guten Grund? Das kleine Schloss? Beziehungsweise das kleine Nebengebäude des großen Wasserschlosses. War das nicht zu nah dran an allem? Und was sollte er da allein rumsitzen? War ja nicht so, dass er keine Optionen hatte. In den ganzen Jahren, seit die Scheidung durch war, hatte er immer mal wieder ’ne Frau, was Festes, was halb Festes, manchmal sogar ’ne Option. In seinem Spiegelzimmer ist er paarmal mit Mandy, also Mandy 1, gewesen. Das war so ’ne Option. Aber die ist dann weg. Diese etwas unscheinbare Dunkle war auch nicht schlecht gewesen. Um die vierzig. Bisschen unsicher. Die Unworte. Aber Tanja hatte Ausstrahlung, ihr rundes, sehr hübsches Gesicht hatte Kraft. Ja, so würde er das formulieren.
    Er stellte die Dusche ab, trocknete sich die Haare, richtig viel war da ja nicht mehr zu trocknen, er zog sich die Badelatschen an, die Tanja ihm gegeben hatte, trocknete sich nochmal richtig ab und nahm dann den Bademantel. Dann merkte er, dass er scheißen musste, setzte sich auf das Klo, spülte schon vorher kurz, um den Lärm zu übertönen, es war ruhig im Objekt, vielleicht war er der einzige Kunde ( Gast! Comprende?) um diese frühe Zeit. Er wischte sich den Arsch ab, und dann duschte er nochmal. Kurz. Sein Laden öffnete erst um einundzwanzig Uhr. War aber auch ’n Nachtclub. Mit Barbetrieb. Im »Sweet Life« ging’s mittags los, wie er der Annonce entnommen hatte. Hauptstadt, Neukölln, viele Menschen, viele Läden, viele Männer, dreiundzwanzig Stunden warme Küche, sweet life, und wer zuerst kommt … Zahlst du noch, oder f… du schon? , hatte er über einer anderen Annonce gelesen. Da ging’s aber erst am Abend los. »Willst du was trinken«, sagte Tanja, als er ins Spiegelzimmer kam.

    Wo bist du? Staub in der Sonne.
    »Manchmal, Hans, da denke ich, das kann doch nicht alles sein.«
    »Wer denkt das manchmal nicht. Das Übliche.«
    »Und dann denke ich, dass das doch nicht einfach weg sein kann.«
    »Was? Und was weg?«
    »Na, die Zeit. Unsere Zeit.«
    »War’s für dich so gut damals?«
    »Besser als heute, Hans. Denkst du nicht manchmal auch sowas?«
    »Wegen damals?«
    »Nee. Allgemein. Irgendwann geh ich in Rente. Der Rücken geht noch. Komisch. Und Berlin geht auch noch. Komisch. Die Maxi ist längst ausm Haus … Du kannst dich doch noch an die Maxi erinnern?«
    »Da war’se gerade mal so da.«
    »Ich weiß gar nicht, wie ich das sagen soll, wie ich das jetzt … Man wird halt ’n bisschen bekloppt, hast du nicht auch das Gefühl?«
    »Nee. Na ja. Doch. Aber ’s geht ja immer weiter.«
    »Was quatschen wir hier eigentlich für Müll.«
    »Ich weiß nicht, Achim.«
    »… dass man zurück kann. Weißt du, wie früher mit ’nem Flaschenzug. Kannste heute keinem mehr erzählen. Wie wir die Säcke und das Zeug mit ’nem Flaschenzug … Wie so ’ne Linie. Dass das mal da war und mal da. Gerüsttechnisch. Erster, zwoter, dritter. Und dass du das Seil doch noch in der Hand hältst. Ach, vergiss es.«
    »Das Seil, Achim.«
    »Wie ’ne Linie, Hansi. Wo’s mal war, da war’s halt. Dass das nicht weg sein kann. Eigentlich. Verstehste, was ich sagen will?«
    »Ich denk schon.«
    Wo bist du? Wie lange siehst du dich schon selbst, ausgestreckt und nackt? Blickst auf dich und schläfst doch noch.
    »Wie spät is’n, Tanja?«
    »Warte, ich geb dir deine Uhr.«
    Sie rollt sich zur Seite und greift auf den Stuhl, wo deine Sachen liegen. Hans neigt den Kopf, blickt zur Seite in einen anderen Spiegel. Sieht, wie sie die Uhr auf seine Brust legt. Spürt die Uhr kühl auf seiner Haut.
    »Zwei Uhr«, sagt sie, »wir haben noch Zeit.«
    »Gut«, sagt er und will Russisch mit ihr reden, aber er findet die Fäden nicht in seinem Kopf.
    Sie sitzt auf ihm, und er sieht ihren Arsch in den Spiegeln. Legt seine Hände auf ihren Rücken.
    Sieht sich allein auf dem großen Bett. Ein Laken über den Beinen. Wo bist du?
    Sie greift nach seinen Eiern, und er reißt sich zusammen. Blickt dorthin, blickt dahin und schließt die Augen. Die Flughafenstraße leuchtet, denn die Sonne steht hoch. In der Pannierstraße zerbrechen die Bäume das Licht.
    »Noch viel Zeit«, sagt die dunkle Kroatin zu ihm, sagt die Türkin mit den riesigen Brüsten, sagt die dünne blonde Deutsche, und sie tippen mit ihren Fingern auf seine Uhr, die er wieder an seinem linken Arm trägt.

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