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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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und den Mund dabei so weit aufreißt, dass Hans die braunen, schwarzen Stummel sehen kann. Ein Geruch nach Fäulnis weht ihm entgegen. Hans tritt ein paar Schritte zurück und blickt in den kleinen Sackkarren, den Handwagen, den der Typ hinter sich herzieht. Plastikbeutel, leere Flaschen und Büchsen, Zeitungen, und zwischen dem ganzen Müll sieht er graue Federn auf einem kleinen grauen Körper, ein Schnabel sticht durch das Papier, das diesen Körper kaum verdeckt. Schwarze Augen, die sich bewegen, die sich nicht bewegen. Ein toter Vogel, der auf der Seite liegt, die Krallen geschlossen.
    Der Typ lallt irgendwas und beugt sich fast bis auf den Bordstein und geht ein paar Schritte und zieht den Wagen mit dem Müll und der toten Taube hinter sich her.
    Hans schwitzt und wühlt in seinen Taschen nach Geld, Kinder sind plötzlich da und rennen um den Mann und seinen Karren rum. Sie tippen den Mann an, stoßen ihn mit den Händen, reden Türkisch oder was auch immer, und Hans steht da, die Hände in den Taschen, und weiß nicht, was er machen soll.
    Er steht zwischen der Meute der Kinder und will sie wegjagen, die ganze Flughafenstraße scheint ihm voller Kinder zu sein, die schreiend und lachend um ihn und den Bommelmützenmann und seine Sackkarre tanzen.
    Und Hans sieht, wie sein linkes Bein immer länger wird. Wie sein Fuß über den Boden gleitet. Was für ein gewagter großer Spreizschritt. Da knackt was in seinem Rücken. DONG, und die Sonne flammt dunkelrot auf, hinter den Häusern, vor seinem Gesicht. Er dreht sich um und fällt in den Sackkarren, dieses große graue Loch, in dem die Federn glänzen. »Jetzt passt mal schön auf, ihr Rotzer!«
    »Gans, hee, Gans, es ist fast drei, du wolltest doch weg.«
    »Nee, Achim, so darf man das nicht sehen.«
    »Geh ruhig ran, das scheint wichtig zu sein.«
    Ein Telefon klingelt, Hans greift nach seinem Handy, jemand tritt auf seine Hand, erst kurz und dann heftig, der Knochen bricht, ein Mann springt auf seinen Kopf, ein Telefon klingelt, alt und schrill. In den Boden zu atmen … »Ja? Wisst ihr nicht, wie spät’s ist?«
    »Acht Uhr dreißig. Haste Interesse an ’nem Club?«
    »An was? Swingerclub?«
    »Nee. Nachtclub. Ist grad was freigeworden. Ist aber nicht Berlin.«
    »Ja und?«
    »Du willst dich doch selbständig machen.«
    »Wer …«
    »Du selbst. Wir geben dir Kredit, du übernimmst, die Jungs in der Stadt sind einverstanden. Hast einen guten Ruf, hast dir den erarbeitet.«
    »Was solln der Straßenmüll … Jetzt lasst mich doch erstmal munter werden … Wer spricht’n da überhaupt? Markus?«
    »Wer wohl, die ehemalige Knochenbrecher GmbH. Wird Zeit für seriöse Geschäfte. Wir geben dir Kredit, du versorgst uns mit Informationen aus der Stadt, hin und wieder …«
    »Sind wir bei der Stasi, oder was? Kommt vorbei, wenn ihr was wollt.« Er knallt den Hörer auf die Gabel, sein Schädel bricht. Sein Nasenbein dringt in den Schädel. Jemand steht auf seinem Becken.
    Seine Augen bewegen sich und bewegen sich nicht. Silber-metallic reflektiert. Die Häuser hinterm Flachbau bewegen sich, schnell und immer schneller. Seine Wirbelsäule biegt sich, und er versucht, sich wegzurollen. Da muss man doch mal auf die Beine kommen. Die Welt ist bunt und rot und stimmt nicht mehr.
    Sich wegrollen, immer nur wegrollen, still trifft ihn die Sonne, sein Kehlkopf wird in die Luftröhre getreten. Und er bewegt sich noch. »Andere Träume«, sagt Liv, sagt Sonja, sagt Mandy, sagt … Neunzehnhundertdreiundneunzig. Das Telefon klingt wie ein Faxanschluss. Der erste Schlag. Mehrzahl. Er sitzt und wirft Geld nach und wartet auf die Diamanten. Aber nur die bescheuerten Vögel flattern über den Screen . Ein Holz trifft seinen Kopf, als er sich umdrehen will. In der Kneipe, neben der Toreinfahrt, schwatzen sie über die besten Rezepte für Buletten, hausgemacht. »Wenn ich’s doch sage, da muss das Verhältnis anders sein …, mehr Brösel …«
    Als er auf die Treppe fällt, schafft er es noch, den Arm unter den Kiefer zu kriegen. Ein Fuß auf seinem Hals, und er spürt, wie die Vorderzähne brechen.
    Im Nebengebäude des Schlosses ist es ruhig um diese Zeit. Das Licht fällt durch die Baumwipfel und besprenkelt die Straße, den Fußweg. »Wir haben doch immer einen Scheißdreck auf irgendwelche Gerüchte gegeben, Arnold.«
    »Wenn du das hörst, Hans, ich versuch’s nachher nochmal, hau sofort ab, wo immer du auch bist, Berlin, scheißegal, ich …, jemand will sich

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