Im Stein
verstehe nicht, warum er mich nicht mehr sehen will. Ich verstehe, warum er mich nicht mehr sehen will. Ich denke immer, dass ich mein Kind lieben würde, egal, wie es ist, und egal, ob sein Geist, seine Seele, oder wie immer man das nennen will, und sein Körper, so sind, wie sie sind. Ich habe ja nicht gesagt, ich könnte jetzt dies und oder aber das. Weil man doch keine Wahl hat. Oder sich kaputtmacht, weil man sein ganzes oder halbes Leben sich selbst belügt. Sich selbst kaputtmacht. Ich glaube, dass das alles seine Richtigkeit hat, auch wenn es einen Gott oder sowas wie einen Gott, der ja meiner Meinung nach sowieso eine Art Zwitter sein müsste, ein FrauMann, oder wie immer man das nennen will, also wenn es da was gibt, das einen zu dem macht, was man ist, wie man ist, und dass man dann eben das selbst in Einklang bringen soll, bringen darf, wie auch immer. Klingt alles immer esoterisch, vielleicht ist das der Rest meiner katholisch verseuchten Kindheit, aber ich hab mir in den Jahren, die einen hart machen, etwas Weiches verdient. Endlich. Und einmal.
Wieso lachst du, fragst du. Und ich sage, dass es nur ist, weil ich mich sehr wohl fühle gerade. Und dass du jetzt hier bist, mit mir, dass wir hier oben zusammen liegen, sitzen, trinken, ficken und reden, dass das was Besonderes ist. Dass ich sowas noch nie gefühlt habe, wir sind ja keine Kinder mehr, aber dass das für mich …
Er zieht mich zu sich ran, mein Kopf liegt auf seiner Brust. Champagner zu trinken, sich in die Ruhe zu legen … Und ich renne aus dem Kino, höre das Lachen hinter mir, wieso wissen sie, dass ich hier in dieses kleine Kino gehe, keiner aus meiner Schule oder Klasse geht sonst hierher, kein »Dirty Dancing«, kein »Rocky 5« oder so ein Scheiß, ich bin dreizehn und will Audrey Hepburn sehen. Ich trage Leggins und ein langes T-Shirt drüber und habe mir die Lippen geschminkt und habe mir die Augen gemacht und trage einen BH mit kleinen Schaumstoffpolstern, und ich will allein sein. Im Dunkel des Kinos, im Licht des Films.
Ich habe dir etwas mitgebracht, sagst du. Dein Handy summt irgendwo im Raum, aber du gehst nicht ran, du suchst es nicht, und es wird noch ein paarmal summen, bis du es irgendwann ausschaltest, vorher die Nummern und Nachrichten prüfst. Kurz nur.
Ich weiß, dass du viel zu tun hast. Ich weiß, dass deine Firma, dein Unternehmen sich in einer schwierigen Lage befindet. Ich weiß, dass die letzten Schwierigkeiten, die Kämpfe, die Unruhen, von denen man so viel las in den Zeitungen in den letzten Monaten, Jahren fast, ausgestanden sind. Dass deine Geschäfte wieder gut liefen, störungsfrei, erstmal, und dass nun die nächsten Unruhen beginnen, diese Wellen, diese Bewegungen, in denen du navigieren musst. Ich habe vieles gehört, was man eben so hört, wo immer nur die Hälfte wahr ist, oder die Hälfte halbwahr, und seit wir hier oben sind, hier oben liegen, trinken, ficken, uns ineinanderschieben, redest du. Liegst manchmal wie im Schlaf, wie im Traum, auf dem Rücken, auf der Seite, die Augen geschlossen, dunkle Ringe unter den Augen, deine Bartstoppeln schimmern grau, deine Stimme ist leise und bewegt sich an mir und in mir, die Engel in der Stadt, die Outsiders um die Stadt herum, diese Stadt, die sich seit Jahren langsam in die nächste, kleinere Stadt hineinbewegt und seltsam über die Karten wandert, so hast du es mir erklärt, Flugzeuge blinken in der Einflugschneise. Und du siehst das auch oder hörst es, weil deine Augen geschlossen sind im Dämmerlicht unseres Raumes, und erzählst davon wegzugehen, und dass du einmal in Tokio warst, diesem leuchtenden Metropolis auf und zwischen den Inseln am anderen Ende der Welt, durch das jetzt die Strahlung langsam kriecht, ich bin so froh, dass der Fernseher hier oben schweigt, weil er während der Arbeit und zwischen der Arbeit immer an ist und von Dingen berichtet, die mich nicht interessieren sollten und die mich tatsächlich auch nicht interessieren, aber Ablenkung bringen, aber Bilder zeigen, die mir helfen, auch wenn sie mich nichts angehen, ich lese die Nachrichten in der Zeitung, und es ist nicht so, dass ich Hilfe bräuchte, und du sagst und sagtest es und sagst es immer wieder, oder es hallt immer wieder nach in meinem Kopf, dass ich so stark bin, dass du bewunderst, wie stark ich bin, dass du viele der Frauen, die bei dir arbeiten, die in deiner Firma, in deinem Unternehmen, arbeiten, dass du die bewunderst, wie stark sie sind, und dass das Teil
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