Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
Vom Netzwerk:
weiß um die anderen Standorte seiner Kette. »Schlecker« ist fertig, er nur erschöpft, ausgebrannt in dieser Stadt. Sein Traum von der Aktie. Wie wir gelacht haben. Aktie Rot. Und wie er erzählt, dass irgendwann in der Zukunft es so kommen wird. Man müsste nur ein Unternehmen sein. Man müsste ja nichts gründen, sich nur zusammentun, ein Syndikat, deutschlandweit. Die Gesetze hätten sich geändert. Für uns. Und er, wie sollte es auch anders sein, habe genug Kontakte in Wirtschaft und Politik. Wer’s glaubt, wird … Plopp. Wir trinken. Kehren zurück aus unseren Gedanken. Die Seele, mir ist, als ob ich deine Seele sehen kann, Mädchen. Ich schäme mich. Gefühlsanwandlungen. Und blicke in dein Auge, deine Pupille, die so weit und fern und leuchtend ist wie ein Sternennebel, ein Planetennebel, das bläulich-rosa schimmernde »Katzenauge«, jener Nebel im Sternbild »Drache«, so weit weit … Woher ich das kenne und weiß, willst du wissen. Der Ringnebel der »Leier«. Wenn ich in deine Augen schaue, unterschiedlich die Farben und die Spektren, links, rechts.
    Nun, ich glaubte anfangs und lange an seine Kontakte. Wirtschaft, Politik. Hatte und vor allem habe genug eigene, aber er, der große Weltenmann, der Deutschlandreisende, der Graf, der Flaschenköpfer, der Champagnerkenner. Wie lange das alles her ist jetzt. Und sein Traum? Hatte er recht? Kürzlich, vor ein, zwei Jahren vielleicht, traf ich den Mann aus Österreich, jenen Bürger, der einst als Anwalt begann und dann den Weg ins Geschäft der schönen Augen fand, der leuchtenden Sternennebel, ich flüstere dir schweigend den Vergleich ins Ohr, lege ihn schweigend mit meinen Fingerspitzen auf deine Augen und schäme mich für diese Gefühligkeiten. Aktie Rot, ja, das wäre auch sein Traum. Der expandierende Österreicher. Ich erinnerte mich an die Lehrsätze über das Prinzip der Aktie, wie lange her das ist. Die Gründung einer Aktiengesellschaft. Der Österreicher hatte Visionen. Wie der Graf, dieser halbe Hochstapler, den wir belächelt haben. Aber doch geachtet anfangs. Die Kräfte vereinen? Jeder spielt für sich allein. Ketten. Schlecker? Nein, danke. Größer. Sagte das der Graf oder der Österreicher? K.u.k. Kaiserlich-königlich. Oder umgedreht.
    Champagner zu trinken. Sich nicht zu verlieren. Unmöglich. Und möglich. Zu träumen. Es ist einsam geworden, dort oben. Und hier. Es ist immer die doppelte Optik. Ich weiß. Wo wir herkommen, und wo wir sind. Viel mehr noch. Und weiter. Das Kapital ist doch da, der Umsatz ist doch da. Gewaltig, ja.
    Du erzählst mir, dann plötzlich, mit deiner verwirrenden Stimme, dass du seit zweitausendsechs, wie lange her das ist und doch vor kurzem erst, jeden Tag bezahlen musst. Ich weiß das und halte dich. Natürlich weiß ich das, denn du bist Teil der Aktie. Ich möchte von der doppelten Optik erzählen, von der ich gelesen habe. Du meinst die fünfundzwanzig Euro Pauschalsteuer. Ich weiß, mein Mädchen, Erdnüsse, ich weiß doch, vergiss es. Du bist, sage ich. Und du?, fragst du. Ich schäme mich. Floskeln. Wert, von seiner symbolischen Darstellung im Wertzeichen abgesehen, existiert nur in einem Gebrauchswert, einem Ding. … verwandelt sich die Ware in ein gesellschaftliches Produkt. Fressen Fledermäuse Katzen?
    Und dass wir zur Musik gehen. Und dass wir sowieso nicht denken, was im Allgemeinen gedacht wird. Über die Dinge. Da bin ich genauso Ding wie du. Dass man es mit Zärtlichkeit ausspricht. Dass ich nie vergessen habe, dass das das ist.
    Du verstehst mich nicht? Du verstehst mich, sagst du dann doch. Weil wir zusammen im Restaurant sitzen, bevor wir zur Musik gehen. Weil wir Champagner trinken. Und weil wir essen und weil wir dort oben sitzen, an der Scheibe sitzen und über die Stadt schauen, und weil es mir egal ist, ob man mich kennt oder erkennt. Weil ich all diese Gedanken abschneide in diesem Moment. In dieser Zeit, in der ich angreifbar bin. Wo man in meine weichen Seiten hineinstechen kann. Wo du über meine weichen Seiten streichst. Wo du fast nackt bist in diesem Zimmer, dort oben, das ich für uns gemietet habe.
    Korkprojektile. Und du willst wirklich mit mir zur Musik, fragst du. Ich berühre deinen Arsch, fahre mit meiner Hand über diese lange, dazwischen verschwindende Stoffschnur. Du bist fast nackt. Über den Fluss und in die Wälder. Ich kann nicht müde sein. Nicht so. Ich schäme mich, ich kämpfe mit meinem Mund, meinem Hirn, die all die dummen Dinge und Gedanken und

Weitere Kostenlose Bücher