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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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Ideen und Träume hervorbringen, zu dir bringen. Aber was soll man machen? Ich sitze auf der Bettkante, das rechteckige, quadratische Glas vor mir, Lichter, Flugzeuge, Stadt, Städte, Familie und Freunde? Ich sage, dass das keine Rolle spielt für mich. Jetzt. Und die Zeit dehnt sich. Und ich weiß nicht, ob ich lüge.
    Dass meine Stirn an deiner liegt. Dass wir in unsere Tunnel fallen und fallen. Dass ich dich küsse und dass ich will, dass du mich küsst. Und du erzählst, obwohl wir schweigen. NEIN, verdammt, wir schweigen nicht. Floskeln. Wir beide. In unseren Geschichten verschwinden wir. Du bist fast nackt, und ich ziehe dir den Rest runter.
    Dass du sagst: »Nein, nein«, obwohl ich die Zeit zerfließen lasse und das Licht nur durch die große rechteckige, viereckige Scheibe fällt. Wo also nur wenig Licht ist. Draußen. Wo drinnen die Deckenlampe nur glimmt, kaum wahrnehmbar zittert das Licht im Draht, dimmen dimmen, weil wir uns noch fremd sind. Aber sind es dann doch nicht. Weil du seit einigen Monaten im Westend in einer Wohnung sitzt und liegst und wartest, die mir gehört. Bist weit gereist, mein fremdes Mädchen.
    Und ich bin weit gereist zu dir, mein fremdes Mädchen. Ist das die neue Zeit? Sind wir schon elf Jahre im neuen Jahrtausend? Ich habe dir die Sedcard eingerichtet, nicht diktiert. Habe dich damals, es ist nicht lange her, aber es scheint vergangen, so lange vergangen (wie sehr wir übertreiben in unserer Verwirrung), habe dich damals gefragt, wie und was und welche Zahlen. Das Volk wollte mehr und Außergewöhnliches. Du kamst von der Westgrenze des Landes. Und ich fragte mich, was willst du hier? In dieser seltsamen Stadt.
    Und habe gedacht, was für ein wunderschönes Mädchen. Wo doch die Medien und das Netz den Horror über unsere Stadt verbreiteten. BUMM BUMM. Die Kriege an den Grenzen. Als damals der Bielefelder den kegelförmigen Korken mitsamt Glas von der Flasche schlug mit seinem alten Säbel, der angeblich ein Erbstück seiner Väter war, aber den er sicher oder vielleicht irgendwo und irgendwann auf einem Flohmarkt gekauft hat, da dachte ich …, dieses trockene Plopp im Ohr, da dachte ich nicht …
    Er sitzt am Fenster und raucht. Ich sitze hinter ihm. Lege meine Arme um seinen Körper. Legte meine Hände auf seine Brust. Er fühlt sich kalt an. Aber wenn ich meine Hände, meine Haut, meinen Körper an seine Haut presse, ist keine Kälte mehr zu spüren. Seine Haare, sein Kopf, schimmern grau. In einigen Tagen stellen sie die Zeit um. Noch ist es dunkel am frühen Abend. Doch warm jetzt. Noch nie hat mir jemand so viel über die Sterne und das All erzählt. All das. Und über meine Augen. In denen er all das sieht. Dass ich Angst bekomme. Und doch wieder nicht. Es ist die Angst, in der ich fühle, dass ich noch bin, wie ich nicht mehr sein will. Die Kinderangst. Die Jungsangst. Die einem zwischen die Beine fährt. Die mir zwischen die Beine fährt. Dass ich spüre, was ich nicht spüren will. So brennend. Dass ich mich erinnere an die Zeit, als ich ein Kind war. Und dass mir das so lang her ist. Dass mir das endlos vergangen scheint, aber dann doch wieder plötzlich da ist. Wie ich meine Beine zusammendrücke, dass sich die Knie berühren. X. X fast. Dass ich meine Knie zusammendrücke, wieder zurücknehme, auseinanderdrücke, beide Beine, und wieder zusammenschlage. Ein Schüttelfrost der Knie. Das klingt dumpf, ganz leise eigentlich auf dem Hosenstoff, und ich presse und ziehe und schlage, als wäre ich nicht ganz dicht, beide Beine immer wieder aneinander. Reibe die Knie aneinander, beuge den Oberkörper vor dabei, verkrampfe mich, verkrampfe im ganzen Körper und wiege den Oberkörper vor und zurück dabei. Ich weiß nicht, ich weiß nicht, ich weiß nicht. Und ich will nicht. Will das nicht. Klemme mir den kleinen dünnen und nassen … Schwanz zwischen die Beine. Der immer kleiner wird in meiner Angst. Mein ganzer Körper verkrümmt sich. Und ich als Kind denke. Wie man gerade so denken kann als Kind. Und später wird es immer schlimmer. Pubertät. Was für ein dummes Wort, kein Sternennebel, schwarze Löcher. Wie ich aus dem Kino komme. Wie ich jemand anders sein will. Ist doch mein Kapital …, und ich mache so viel Sport. Weil ich nicht glaube, dass ich mit Übergewicht viel Geld verdienen würde. Ich habe das Gefühl, dass er auch Angst hat. Ich …, aber es ist komisch, dass ich eigentlich keine Angst habe, wenn ich hinter ihm bin und mich an ihn lehne, wenn er

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