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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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er erkennt sie trotzdem. Als er aufwacht, ist sie weg. Er blinzelt, erkennt nicht sofort, wo er ist. Er taumelt durch einen langen halbdunklen Gang, Wasser tropft von den Wänden. Vor sich und hinter sich hört er Schritte, oder ist das der Widerhall seiner eigenen? Er erkennt verrostete Eisentüren in den Wänden, links und rechts. Die Wände, die Decke, der Boden, die Türen vibrieren, ein Grollen irgendwo über dem Stein, oder ist es das Dröhnen des riesigen Bohrers, der sich durch den Grund frisst, die Stadt unterhöhlt, Projekt City-Tunnel, warum nicht gleich bis Berlin, was wäre das für eine Hurenpipeline, »Nein!«, ruft er immer wieder, und endlich hört er seine Stimme in dem verklingenden Dröhnen der Bohrer, der Züge, »das sind nicht meine Gedanken, das sind Fremde in meinem Kopf«, und als er eine der verrosteten Türen aufreißt, mit einem endlosen Quietschen öffnet sie sich, mit einem furchtbaren Kreischen in den alten Scharnieren, sieht er seine Tochter, festgeschnallt auf einem Krankenhausbett, nackt, die Beine auseinandergerissen, sie glänzt, ihr Körper glänzt, er steht in der Tür, sieht die Männer, die in langen Reihen neben dem Bett stehen, sie bespritzen, ihre steifen Schwänze an ihr reiben, andere Männer drängen ihn zur Seite, drängen vom Gang her in den Raum, drängen von allen Seiten in sie, nein, er erkennt sie nicht, will sie nicht erkennen und läuft weiter, alles wird kleiner, wie das schrumpfende Bild einer kaputten Fernsehbildröhre, Räume, Zimmer hinter eisernen Türen, Wasser tropft von den Wänden, und er wischt sich über seine kühle, feuchte Stirn.
    Sein Kopf liegt neben der Sektflasche. Er hatte zwei Träume, an die er sich erinnert, obwohl er nur kurz weg gewesen sein kann. Leere Teller, leere Gläser, leerer Stuhl. Paris, Frankreich. Er träumte, dass er Geld in den Händen hielt, viele Scheine. In irgendeinem Raum, in irgendeinem dunklen Gang, eher so halbdunkel. Die Pistole hängt irgendwo schwer in seinem Mantel. Ein Mädchen in einem kleinen Bett im Schatten. »Gib das scheiß Geld her, du Miststück. Und lüg mich nicht an, dass du sie nicht kennst.« Er sieht alles verschwommen, schlechtes Bild auf altem Schwarzweißfernseher, als wären kleine Spinnenweben auf seinen Pupillen. Die Kirche, die dunklen Straßen hinter dem Bahnhof. Die langgezogenen Signale von Zügen hört er in der Nacht. Er wird weitergehen müssen. Er sieht nicht die Blaulichter, die Krankenwagen, weil das später ist, aber nicht sehr viel später. Hauptstadt. Eden City zwo. Er bezahlt und setzt sich dabei auf ihren Stuhl, der noch warm ist. Pollen treiben über den Fußweg und Asphalt. Sie hätte sie sein können, und er hätte es nichtmal gemerkt. Schüsse? Hörte er keine. Er verschwindet in die andere Richtung, den zweiten Traum noch in seinem Kopf, auf seiner Netzhaut. Obwohl es Nacht ist, bildet sich ein Ring aus Leibern um den Imbiss. Um die Bullen, um die Krankenwagen, um sie . Den grimmigen Alten werden sie später erwischen. Zwei Löcher im Blümchenkleid. Dichter und dichter rücken sie auf. Wenn sie auf den Kuppeln und Türmen stehen könnten …

    »Und wenn ich dir sage, dass ich ihn sogar gesehen habe …«
    »Erzähl nicht, Mädchen. Schlaf dich mal wieder aus. Und mach was gegen deine schlechten Träume.«
    »Ja, du hast recht. Gute Nacht.«
    »Nun renn doch nicht weg, ich fahr dich nach Hause.«
    »Mein Auto steht doch unten.«
    »Lass gut sein, ich seh doch, dass du zu viel Sekt …«
    »Prosecco, Arnie, wir trinken jetzt immer Prosecco.«
    Klapp klapp klapp. Große, endlose Halle unter den Bögen aus Stahl und Glas. Die Tauben flattern auf. Langsam, weil Schlafenszeit ist.

In the year 2525
    I
    Zuhälter? Nein. Nein.

II
    Das Jahr hat 365 Tage, meine Damen und Herren, und gehen wir einmal davon aus: pro Tag 5000 Euro Umsatz. Plus X. Geschätzt. Genauer: Wenn in ca. 50 Wohnungen jeweils mindestens 2 Dienstleisterinnen arbeiten. Also 100 Dienstleisterinnen. Und das wäre ca. ein Siebtel der offiziell in der Stadt Gemeldeten, entsprechend den Zahlen, von denen wir ausgehen. Jede dieser 100 zahlt 80 Euro Tagesmiete. In Euro: 8000. Umsatz. Das sind im Jahr: 2920000. (In Worten: zwei Millionen neunhundertzwanzigtausend) Euro. Umsatz. Plus minus. Wobei, wie wir wissen, es sich oft um ein Vielfaches der Summe handelt, da das Unternehmen X expandiert. Wir müssen uns vor Augen führen, was diese Zahlen an Steuereinnahmen bedeuten. Dazu die zu versteuernden Einnahmen

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