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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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ein Jahr bevor die Nullen das Chaos auslösten, das bis heute andauert, warum haben sie ihn nicht endgültig weggeblasen, eine Zeitlang ging ja das Gerücht, dass …, und warum fährt das Schwein heute noch durch die Straßen, kein Projektil mehr im Fleisch, Informationen machen genauso schuldig, Dokumente und Fotos machen genauso schuldig, obwohl ihm genug Leute gesagt haben, dass das Schwein nichts damit zu tun hat und dass es kein Todesurteil sein kann, Informationen zu verwenden, wo doch keiner weiß, ob er die Informationen überhaupt hält.
    Aber der kleine Mann im Trenchcoat, in diesem schmuddelig gewordenen Trenchcoat, weiß, dass der Aufstieg ohne Informationen, ohne Fotos und Dokumente nicht möglich gewesen wäre. Er denkt, dass er weiß. Auf seinen Wegen zwischen den Straßen und Jahren und Städten. Er sucht seine Tochter, die auf einem der Fotos sein muss, die das Schwein haben muss. Die dort nicht allein drauf ist. Er hat Informationen bekommen, wo der ist, der dort war, der Herr der kleinen Mädchen, M. Für den das Wort Schwein nicht reicht. Für den keine Worte reichen. Den er so viel mehr hasst als den, der seinen Aufstieg mit Informationen und Fotos … finanzierte. Schulden. Er wird ihn nie finden, den Herrn der kleinen Körper. Immer wenn er nah dran zu sein scheint, die Knarre in der Tasche, ist der verschwunden, als würde er immer wieder durch Falltüren im Asphalt in Fluchthöhlen kriechen. Ob der Mann mit den Informationen, der große Vermieter , ihn schützt, ihm die Tunnel gräbt? Obwohl, er hat Männer und Frauen getroffen in diesen Jahren, die haben ihm ganz andere Dinge erzählt, dass der Vermieter dem Schwein M. nur einen Tunnel graben würde, mit einem Stein drauf, und sagten dann: Das ist das , als wäre es die einzige Wahrheit. Aber er muss ihn und ihn vergessen, muss sie alle vergessen, Eden City, muss sein Kind finden. Findet anderes. Andere. Steht an der Imbissbude, in der Nähe dieser einen Straße in Westberlin, wischt sich einen Ketchupfleck von seinem Mantel, er muss sich bald mal einen neuen kaufen, bevor der ihm wie ein Fetzen um den Leib schlottert, der Mantel bauscht sich im Wind, wenn er reitet, so wie er früher geritten ist, ohne Angst, mit Angst, wer reitet so spät durch Nacht und Licht, so oft war er in dieser Straße im Osten der Hauptstadt, die nie seine Hauptstadt war, ist durch diese geschwungene, schmale Straße flaniert, obwohl er dieses Wort jetzt nicht benutzen würde, vorbei an den Mädchen, die an den Abenden kommen, Sonne und Wind und Schnee aus den Schächten, wie jung die sind, die Alten stehen meist drüben im Westen, verwitterte Frauen, die Bäuche gebläht unter den engen Stoffen, am Eckstein, am Eckstein, jede will gedeckt sein , wenn die Hengste kommen, Hurenparaden, the great race , it’s post-time , abends, wenn die Kassen schließen, das Klappern und Rauschen der Scheine in den Automaten, die Schlitze zahlen aus; und er flaniert an den Gesichtern vorbei, ach, ihr blonden Barbies, mit den sanften Gesichtern, im Abendlicht, im Morgenlicht, Ken kann , hört Stimmen, »Wir müssen das Netz abschaffen, wir müssen es zumindest sabotieren«, er versteht nicht, »sonst bumsen sie nur noch im Netz«, schaut nur, Gesichter, Haare, Stoffe, Haut.
    »He, Süßer, bist du einsam?«
    »He, Süßer, willst du mich einsamen.« Nein, das hat er nun doch nicht gehört, aber es kann auch so gewesen sein. Eine Pension, dort um die Ecke, er hört den Muezzin von der Synagoge rufen, großer barmherziger Gott, hoch oben auf den Kuppeln der Stadt, Kupplerinnen, Kupplungen verhaken, Wohnwagen woanders und wannanders , wenige Autos auf diesen Straßen, »Schau sie dir doch genau an, schau genau auf das Foto, und bitte, sag mir …«, bis diese Typen kamen und ihn wegtrugen. Nichtmal allzu unfreundlich. Engel. Aufnäher oder Logos auf den Lederjacken. Geflügelte Schädel, hoch über der Stadt. Er kann das sogar verstehen. Touristen und Dörfler flanieren durch diese geschwungene Straße, er stört. Die jungen Damen haben sich beschwert. Er kann das verstehen. Wischt sich den Ketchup mit einer Serviette von seinem Mantel. Er hat Pommes gegessen. Und einen kleinen Kaffee dazu getrunken. Der Mann hinter der Imbisstheke hat eine große rote geschwollene Nase. Auch sein Gesicht ist rot, die Haut sieht ungesund aus. Das liegt sicher daran, dass …, denkt der kleine Mann und steckt die Serviette ein, die leere Schokonusstüte knistert in der Manteltasche, das liegt

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