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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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aus dem Kundenbetrieb der Dienstleisterinnen! Überschlagen Sie das einmal scherzeshalber bis zum Jahr 2025. Meine Damen und Herren. Jetzt ganz intern, unter uns, aber behördenübergreifend, zum Wohle des Staates, des Bundeslandes und der Stadt: Der Rubel muss weiter rollen!
    (Finanzamt I, Sektion B2, Zimmer 001)

III
    Früher hätte ich gesagt, und das sicher mit der entsprechenden Lautstärke, und da wärst du schön nass geworden: Willst du mich rollen, Arschloch?
    Oder vielleicht doch etwas höflicher, weil offiziell oder inoffiziell , das ist hier die Frage: Sie Pimmel wollen mich wohl verarschen? Überlegen Sie mal, wann hat Sie jemand das letzte Mal als Pimmel bezeichnet, wenn das überhaupt schonmal vorgekommen ist. Das Wort Fotze habe ich als Schimpfwort nie benutzt, da habe ich viel zu viel Respekt vor den Frauen. Aber zurück zum Thema: Sie haben doch keine Ahnung, überhaupt keine Ahnung. Ich kann Ihnen was erzählen, kann Ihnen jede Menge erzählen über Zuhälter, passend zum Anlass …, kann Ihnen da viel erzählen, aber ich, mein Beruf, oder sagen wir: das, was ich mache, mein Job, meine Profession? Nein. Und was soll das hier überhaupt darstellen? Eine Art Ausschuss zur Untersuchung unamerikanischen, will sagen unmoralischen Verhaltens? McCarthys Hurenjagd, Rotlicht im Jahre null? Da staunen Sie, Herr Kraushaar ist gebildet! Ach, kommen Sie, als wenn mich Ihr Aufgebot beeindrucken könnte, Sie kennen doch die Olsenbande, das dänische Gaunertrio mit seinen genialen Coups, natürlich kennen Sie die Olsenbande, aber andererseits weiß ich nichts über Sie, wo Sie herkommen, denn die Olsenbande ist doch eher eine Ostsache, über die Bullen jedenfalls haben wir immer nur gelacht, seit der Olsenbande, im Kino und später. Obwohl ich ganz gut auskomme mit den Bullen in der Stadt. Mit fast allen. Gutes Verhältnis, würde ich sagen. Mehr noch zur Justiz. Politik. Und ich habe ganz andere Marken gesehen, die Firma , wenn Sie das verstehen. Staatssicherheit. Aber das klingt ja heute schon so wie in einem Science-Fiction-Film, »Blade Runner« oder was weiß ich, Totalitärstaaten der Zukunft wie in »Judge Dredd«, kennen Sie den, mit Stallone. Staatssicherheit, Big Mother, Robotzuhälter, Replicanten, träumen wir bald von elektrischen Frauen?
    Als Kind habe ich manchmal davon geträumt, dass mich Außerirdische entführen. Nein, nicht wegen E. T. Denn das muss ja so Anfang der Achtziger gewesen sein, dass »E. T.« in der Zone lief, und da war ich schon Anfang zwanzig, also sagen wir zehn Jahre eher. Anfang der Siebziger. Irgendein Film muss mich dazu gebracht haben, obwohl, ich habe viel gelesen damals, utopische Literatur hieß das, »Science-Fiction« war mir lange unbekannt als Wort. Da gab es jede Menge Klassiker, DDR-Literatur, die Russen, nehmen Sie nur »Solaris« von Stanisław Lem, Sternentagebücher, der war ein Pole, wenn ich mich nicht irre. Das hat mich beeindruckt, richtig beeindruckt, viel mehr noch als diese germanischen Göttersagen, die mich davor interessiert haben, Thor, Odin und wie sie alle hießen, mein Großvater hat mir ein Buch geschenkt damals, Anfang der Siebziger, zu Weihnachten, ein altes Ding, mit Illustrationen, Thor schwingt seinen Hammer Smjolnir, die große Weltenschlange am Ragnarök, Buri der Schaffende, die Nornen waren schon vor den Göttern, Orlog, das Schicksal, die ewige Weltordnung über den Göttern und Menschen, Odin, der die Sterne am Himmel ordnete, gen Ginnungagab, den kalten Weltenabgrund, Nacht und Mond, Urd – die Vergangenheit, Werdandi – die Gegenwart, Skuld – die Zukunft, Wild toste das Wasser in steigender Flut, / Es brausten die Wellen in zügelnder Glut, / Dann stürzte das All, / Ein riesiger, mächtiger, flammender Ball , ja, was für eine pathetische Scheiße, und warum ich das alles noch so gut weiß, wollen Sie wissen?, weil die Worte und Zahlen durch meine Synapsen rattern, Jahr um Jahr, und das können Millionen sein, aber »Solaris« oder dieses andere von den Russen, »Picknick am Wegesrand«, genau!, da habe ich immer gedacht, bevor ich sterbe, irgendwann mal, wie man das eben so denkt als Kind, also bevor ich sterbe, möchte ich einmal diese außerirdischen Wesen kennenlernen, das riesige flammende All, einmal möchte ich aufgehen in diesen Weiten. Dieser Ozean in »Solaris«, dieser intelligente Ozean, da wollte ich immer reintauchen als Kind, eintauchen, weil ich dachte, dass dort die Unendlichkeit drin ist und man im

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