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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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merkt, dass das mal so und mal so ist, und jetzt sind sie am Diskutieren seit ein paar Tagen, ob sie heißer 3er mit in die Annonce reinnehmen beim nächsten Mal, weil gefragt haben schon welche, und da haben sie nicht nein gesagt, weil der fünfhundert zahlen wollte für eine Stunde, und was ist schon dabei, und gegenseitig streicheln ist meistens besser, als wenn die Gäste, die sind doch sowieso meist Grobmotoriker, ist ja nur für die Show, und die meiste Zeit sind sie mit dem Typen beschäftigt, aber ganz sicher sind sie sich nicht, aber in der Stadt arbeiten bestimmt fünfhundert Frauen, da muss man schon was bieten, also von wegen Konkurrenz und so, und manchmal liegen sie nach Feierabend noch ganz dicht nebeneinander und streicheln sich, keine Musik, kein Fernseher, nur das Summen des Kühlschranks aus der Küche, aber das ist was ganz anderes, und das würden sie nie weggeben und verkaufen und hat mit lesbisch nichts zu tun, auch wenn sie sich schon geküsst haben.
    Magda sieht, wie Babsi, die eigentlich Lilli heißt, rückwärts zur Couch zurückkommt, Schritt für Schritt. Ein kahlköpfiger Mann betritt ihr Wohnzimmer. Er trägt einen offenen schwarzen Ledermantel, beide Hände hält er in den Taschen des Mantels. Er bleibt stehen, blickt sich um. Geht ein paar Schritte, es scheint ihnen, dass er ein wenig das Bein nachzieht, dreht sich, blickt zu den Türen ihrer Zimmer, nickt, zieht langsam die linke Hand aus der Manteltasche und streicht sich übers Kinn. Er ist nicht glattrasiert, und seine Bartstoppeln schimmern silbern, als würde er schon grau werden. Er ist vielleicht Anfang, Mitte vierzig, könnte aber auch schon älter sein, tiefe Falten auf der Stirn und neben den Mundwinkeln. Er ist nicht besonders groß, schlank.
    Setz dich, sagt er zu Lilli. Sie setzt sich. Seine Augen sind leer. Ihr fällt kein anderes Wort dazu ein. Blau. Leer. Als wäre er irgendwo weit weg. Und es ist kalt dort. Er geht zu dem Sessel auf der anderen Seite des kleinen Couchtisches, nimmt die Zeitschrift »Bild der Frau« und legt sie auf den Tisch neben den Aschenbecher und die Zigarettenschachteln, das Telefon und die Vase mit den Plastikblumen, dann setzt er sich. Langsam. Er legt die Aufschläge seines Mantels über die Lehnen des Sessels, zieht das schwarze Leder glatt, schaut sich wieder um, nickt.
    – Ihr macht gute Geschäfte.
    – Es geht so.
    Lilli schaut zu Magda, Magda schaut zu Lilli.
    – Wie lange seit ihr schon in der Stadt?
    – Drei Wochen.
    – Wie lange wollt ihr bleiben?
    Lilli zuckt mit den Schultern. Magda zuckt mit den Schultern.
    – Wo kommt ihr her?
    – Berlin. Sagt Lilli.
    – Cottbus. Sagt Magda.
    – Ich bin hier geboren. Berlin ist eine große Stadt.
    Das Telefon auf dem Tisch klingelt. Das Display leuchtet auf. Der Mann hebt eine Hand. Zeigt ihnen zwei Finger, den Zeigefinger, den Mittelfinger, wie das Victory-Zeichen.
    – Es gibt zwei Möglichkeiten.
    Sie schweigen, blicken sich an. Magda greift nach der Zigarettenschachtel auf dem Tisch und nimmt sich eine raus. Das Telefon hat aufgehört zu klingeln. Sie nimmt das Feuerzeug, raucht.
    – Ihr kündigt diese Wohnung. Ich gebe euch eine neue. Alles da. Alles drin. Ich kümmere mich um eure Annoncen. Ich kümmere mich ums Finanzamt. Gesundheitsamt. Wäsche. Verträge. Papierkram. Meine Leute. Ihr zahlt Tagesmiete. Hundert. Du. Und du. Wie jede andere. Ihr bleibt frei. Könnt verdienen, wie viel ihr wollt. Könnt machen, was ihr wollt. Fünf Tage, sechs Tage, fulltime. Acht Stunden, zehn Stunden, zwölf Stunden. Duo oder Schicht. Eure Entscheidung, nur muss ich’s wissen.
    Sie blicken sich an. An ihm vorbei. Wann hat Lilli wieder ihre Adidas-Trainingsjacke angezogen? Asche fällt von Magdas Zigarette auf den Teppich, und sie zerreibt sie mit der goldenen Spitze ihres Schuhs. Sie trägt offene schwarze hochhackige Schuhe von Versace. Peep-Toe-Pumps. Mit der berühmten goldenen Lasche um die Spitze. Die hat sie sich in Berlin gekauft. Fast fünfhundert Euro. Manchmal wollen die Gäste, dass sie die anbehält, wenn sie ficken. Es sind ihre Lieblingsschuhe. Am Anfang hat sie die nie während der Arbeit getragen. Aber jetzt gibt ihr Versace ein gutes Gefühl. Sie hat die Schuhe an, sie ist die Lady. Kiss my Versace, Kleiner! Und sie will sich neue Schuhe kaufen. Für die Freizeit.
    – Der Vermieter …, sagt sie und drückt ihre Zigarette aus.
    – Kümmere ich mich drum.
    Er steht auf. Geht zum Fenster. Schiebt die

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