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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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Heimatstadt, das ist nämlich nicht hier, und die Mädels von Arbeit …, na ja, die will ich nun nicht ständig sehen, obwohl wir früher manchmal schon was zusammen gemacht haben, aber die meisten hingen dann bloß im Star-Club ab.
    Dort um die Ecke, wo Steffi in der Wohnung arbeitet, ist immer der Rummel. Ich war noch nie bei ihr, also bei ihr auf der Arbeit, aber ich weiß ungefähr, wo das ist. Wir sind da als Kinder immer hin. Ich, meine Mutti und meine Schwester. Und in der Geisterbahn, wie wir da gekreischt haben manchmal. Wir waren immer ganz wild auf den Rummel und vor allem auf die Geisterbahn. Obwohl die eigentlich nicht wirklich gruselig war. Und da gab’s auch so eine kleine Eisenbahn, die haben so zwei alte Leutchen betrieben, sie hat die Fahrkarten verkauft, und er war der Schaffner, und links und rechts waren lauter Holzfiguren und Gebäude, Ritter und Zauberer und Schlösser und Hexenhütten, ein kleines Märchenland, Runde um Runde sind wir da durchgerattert, und manchmal kam’s uns vor wie Stunden und länger noch, und da könnt ich mit Steffi doch mal hingehen, also nicht unbedingt in die Eisenbahn, sowas gibt’s da bestimmt auch nicht mehr, aber Achterbahn und richtig schnelle Karussells, ich bin manchmal dran vorbeigegangen oder mit der Bahn dran vorbeigefahren, und hab das Knallen der Luftgewehre gehört, vielleicht konnte man das gar nicht hören in Wirklichkeit, also die Luftgewehre, aber ich hab’s genau gehört, weil ich doch so gut Luftgewehrschießen kann, und ich hab lange überlegt, einfach mal reinzugehen, mich da treiben zu lassen, von Bude zu Bude, von Fahrgeschäft zu Fahrgeschäft, und eben mal den größten Bären, oder was die da haben, zu erschießen. Also den mir zu erschießen. Aber wäre mir blöd vorgekommen, mit so ’nem Riesen-Pink-Bär durch die halbe Stadt, obwohl das vielleicht auch irgendwie schön gewesen wäre.
    Und Steffi, die würde staunen, die würde aus dem Staunen gar nicht mehr raus …, wie ich da uns Plüschtier um Plüschtier und Sangria und Kulis und Aschenbecher, der Olaf hat mir das damals beigebracht. Nein, Vater hat’s mir beigebracht. In der kleinen Stadt, wo ich herkomme, da gibt’s auch ’ne Sternwarte. Waren wir mit der Schule drin, war ich auch mal mit Olaf drin. Wir haben viel zusammen gemacht, auch wenn’s nur kurz war. Vati hat mir das beigebracht, das mit dem Luftgewehr. Ganz früher, als ich noch klein war, vor der Wende, da ist er oft jagen gegangen mit so Leuten aus der Politik oder so, hat er manchmal von erzählt, aber nicht so viel jetzt. Aber er hatte kein richtiges Gewehr mehr, nur das Luftgewehr noch. Das sah schick aus, glänzendes Holz, wie so Edelholz, der Kolben. Im Garten haben wir oft geschossen. Meine Schwester war nicht so gut. Ich glaube, dass sie das Gewehr jetzt hat. Sie hat das meiste von Vati mit zu sich genommen, als er gestorben ist. Möchte ich nicht dran denken. Ich würde sie gerne mal besuchen fahren. Ist aber nicht mehr so einfach, seit Mutti das weiß. Mutti, sage ich, ich tanze da nur. Meine Schwester wohnt wieder im Haus, seit sie den Job nicht mehr hat. Könnte ja hier anfangen, jederzeit. Aber nee …, ich bin müde langsam. Sitze an der Bar und warte auf einen Gast, der nett ist und mit mir ’ne Stunde nach oben geht. Oder zwei, drei Quickies. Nach Mitternacht kommt immer noch ’n Schwung.
    Mein Handy hat die ganze Zeit geklingelt, und ich bin nicht rangegangen, kannte ja die Nummer. Mutti schreibe ich oft noch. Im Juli hatte sie Geburtstag. Ich arbeite in einer Bar, Mutti, habe sogar einen Cocktaillehrgang gemacht. Warum ich es ihr nicht erzählen kann …, ich bin sechsundzwanzig und hab mich selbst entschieden. Und wie sie mich angeguckt haben, als sie’s wussten. Als hätt ich irgendwas, als wär ich krank. Weil’s jemand im Internet gesehen, weil mich da jemand erkannt hat, irgendeine von Muttis blöden Freundinnen. Ich würde gern wieder mal in die Sternwarte gehen. Wir durften durch das große Fernglas schauen. Planeten und Sterne. Wenn man mit sowas in die Sonne schaut, wird man blind.
    Manchmal beneide ich Steffi, weil die mit ihrer Familie nichts mehr zu tun hat. Und auch gar nichts mehr zu tun haben will. Ich hoffe und glaube, dass Mutti das akzeptiert, dass ich das mache, was ich mache, weil ich mich entscheiden kann. Jederzeit.
    Und ich kann das verstehen, dass die Steffi da keinen Kontakt mehr hat und will. Ihre Eltern sind in den Westen gegangen, abgehauen, da war sie noch

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