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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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seinem Cola-Stopp an der Tankstelle und seinem Eintreffen am Fundort Tage vergangen, Monate vergangen. Ein Wäldchen. Ein Sumpf, ein Geflecht aus mehreren kleineren Mooren. Nur ein Feldweg, der von der Landstraße dorthin führt. Zu diesem Ausläufer der Heidelandschaft, die sich weiter im Nordosten erstreckt, hier und da die Vororte berührt, der beiden fast eins gewordenen Städte, bin ich der Einzige, der das sieht?, dass sich die Märkte und Marktplätze mehr und mehr verbinden, Rathäuser aus Stahlbeton, die Fleischmärkte expandieren, der Stein wächst, im roten Kreis, wo alles miteinander verbunden ist, das Müllauto, die fette Frau, die Cola, die Viagras, die Blocker, Upper und Downer, verschwundene Katzen, das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, Erinnerungsstücke wie alte Dienstmarken, die Engel auf den Motorrädern, Torfmoose, Hochstraßen, sechsundsechzig städtische Bordelle im Jahr 1865, Chroniken des Handels, er wühlt in den alten Akten, Immobilien an silbernen Drähten, die bis nach Italien führen, und der Fall des Immobilienchefs Silvio Lübbke, drei Kugeln, bumm bumm, die Allee der toten Augen, Häuser für Taschengeld, Spuren, Spuren, wie gut die Landluft tut, bald werden sie hier bauen, aber wir halten den Betrieb noch auf, die Frage ist, wer bringt drei Leichen in dieses Moor, diesen versumpften Tümpel, wo man doch weiß, dass die Zersetzung nicht einsetzen wird, wo man doch Löcher graben kann im Sandboden der Heide oder zu Waldseen fahren kann wie dem »Blauen Auge«, und dort sind wohl die Angler, die selbst die abgelegensten Seen für sich entdecken, die Wälder bewegen sich in einem Bogen um den nordöstlichen Gürtel der Vororte und eingemeindeten Dörfer bis nach Süden, flach wie ein Teller das Ganze.
    Er zieht sich die Gummistiefel an, die eine junge Kollegin, die er nicht kennt, ihm gegeben hat, riesige gelbe Stulpen, wahrscheinlich noch aus der Zone, er schlappt unsicher in den viel zu großen Stiefeln über den kleinen Holzsteg, einige zusammengenagelte Bretter, schon früh am Morgen sind die Bagger auf die Körper gestoßen, das Wasser war schon in den Tagen zuvor abgepumpt worden, nur noch braunschwarzer, zäher Schlamm und Torfmoose, uraltes, versteinertes Astwerk, grün und weiß an den Spitzen, die aus dem Oberflächenwasser ragten, überall grüne Inseln von »Entengrütze«, so nennt man das doch, so nannten sie es als Kinder, wenn sie in den Waldseen baden gingen, die Kollegen haben dann die Feinarbeit übernommen, die Spurensicherung, der Erkennungsdienst ist vor Ort, Tatort, Fundort, Bein ab; er hockt sich auf den Steg, beugt sich vor, blickt in das holzverschalte Rechteck, passt doch , denkt er, drei in einem Sarg, es sind zwei Frauen, die eine liegt deutlich entfernt von den beiden anderen Körpern, es gibt nur diese eine Stelle am Ufer, wo er jetzt steht, wo sie den Steg gelegt haben, wo man etwas entsorgen kann in diesem Moor, diesem Sumpf, was ist der Unterschied?, müssen wir Biologen hinzuziehen, Vermoorungsexperten?, er nimmt an, dass das Wasser, das da abgeführt wurde, früher ein Teich war, Wasserlachen, die im Lauf der Jahre oder Jahrhunderte zu versumpfen begannen, zu Moorland wurden, der Boden hier ist sandig und tonig, das weiß er aus anderen Untersuchungen im Umland, das sind nicht die ersten Körper, die man vor der Stadt ablegte, vergrub, versenkte. Er erinnert sich an den alten Bauern, das kann nicht so weit weg gewesen sein, der seine Frau ertränkt hat in einem Wutanfall, in einem Streit, der ihren Kopf in die Regentonne drückte, wo sie später die silberne Kette der Frau fanden, auf dem Grund des Fasses, und er hat sie in die Heide geschleppt und versucht zu vergraben, ist dann aber schon kurze Zeit später selbst zu ihnen gekommen, so viele Selbststeller, die zwischen ihren Albträumen hin und her stolpern.
    Er sieht die schmalen länglichen Betonteile mit den kleinen Löchern unter den beiden beieinanderliegenden Körpern, an denen man sie befestigt hat, Standfüße für Bauabsperrungen, denkt er, ziemlich schwer. Ziemlich schwer für einen Mann. Aber machbar. Wäre vielleicht gar nicht nötig gewesen. Aber die Wasserlachen auf der Oberfläche machten ihn, sie, unsicher. Kannte er diesen Sumpf? Der eine Körper, die Frau, die allein liegt, ist länger hier als die beiden anderen. Sieht zumindest so aus. Die Haut ledriger. Dunkel. Rotbraun das Gesicht. Der Körper wie geschrumpft. Die hochhackigen Schuhe an den Füßen sehen riesig aus. Die

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