Im Stein
Mädchen dort mit ihm war. Die junge Frau.
Wir leben im Jahrhundert der Gifte, dachte er und denkt dann, dass ja schon längst ein neues Jahrhundert, Jahrtausend, also wie man’s sieht … Kleine Einraumwohnung, die jemand ausgeräumt hatte, bevor der Vermieter nachschaute, als die Miete nicht mehr bezahlt wurde. Ein Typ, der Wohnungen und Zimmer an Bauarbeiter vermietete. Nicht nur an Bauarbeiter, natürlich. Sie hatten ihn sich lange vorgenommen. Ohne viel zu erfahren. Natürlich. Ein Jahr, sagte die Gerichtsmedizin. In dem Zimmer wohnten jetzt zwei Bosnier. Die auf dem Bau arbeiteten. Sogar mit Vertrag. Aber selbst wenn die beiden schwarzgearbeitet hätten, wäre das nichts gewesen, was sie interessiert hätte. Sie hatten die Bude trotzdem auseinandergenommen. Einbaumöbel. Dielen. Tapeten. Nischen und Zwischenräume. Nichts. Natürlich. Der Täter, oder ein zweiter oder dritter Mann, hatte wohl zuerst versucht, den Körper zu teilen. Um die Teile einzeln zu entsorgen. Hier nicht, kein Blut, nirgends. Aber aus irgendwelchen Gründen davon Abstand genommen. Weil der Sumpf plötzlich auftauchte in ihren, seinen Gedanken. Warum? Weil er, sie die Justizsekretärin Bärbel Kahn dort schon neunzehnhundertsiebenundneunzig entsorgt hatten? Oder weil sie darüber Bescheid wussten? Aber dann wäre es doch dumm, auch diese Körper dorthin zu bringen. Oder war man sich sicher, dass erst kommende, zukünftige Eis- oder Wärmezeiten die schwarz gewordenen Leiber umwälzen und vielleicht irgendwann an die Oberfläche bringen würden? Oder im Gegenteil noch weiter umschichten würden, immer tiefer in den Grund.
Die Sache mit dem Immobilien-König, sagte Eliot Ness. Welchem Immobilien-König? Der die alten Handelshäuser und Passagen der Stadt mit großen Krediten wieder aufbaute? Der sich verspekulierte? Den die großen Banken und die großen und kleinen Politiker liebten? Im ganzen Land. Dessen Imperium der Kredite und Grundstücke zusammenbrach, als die Stadt wieder zu glänzen begann? Vor so vielen Jahren. Obwohl, so viele sind es nicht, sagen wir einige . Vier, fünf Jahre vorm neuen Jahrtausend. Damals. Er sieht die Deutschlandfahne oben auf dem Dach dieses Altbaus, direkt hinterm Bahnhof der Nachbarstadt, wie sie flattert und knattert im Wind, obwohl er das Knattern des Stoffes natürlich nicht hören kann in seinem Wagen.
Das Chaos kommt. Alles nur eine Frage der Zeit. Beziehungsweise schon da. Auch hier. Die Schienen glitzern nur noch matt im Licht der Oktobersonne, die fast verschwunden ist. Eine rote Sichel hinter den Häusern, nur zu sehen, wenn man in die Seitenstraßen und Gassen schaut, zwischen die Häuser. Mond, Sonne. Schwarz Rot Gold. Er kennt die Frau in diesem Haus. Die sie »die Chefin« nennen. Obwohl sie nur bedingt die Chefin ist. Komisch, dass die Fahne so in Bewegung ist, denkt er. Wo doch kaum ein Wind geht, wenn er das Fenster runterkurbelt. Wie froh er ist, dass er schon vor Jahren aufgehört hat zu rauchen. Und auch die Trinkerei im Griff hat. Wie man sowas eben im Griff haben kann. Er kurbelt die Seitenscheibe runter. Vielleicht haben sie eine Windmaschine oben auf dem Dach installiert, hinter der Fahne. Das war ein großer Coup damals, wie die Chefin diese Fahne ersteigert hat. Original Bundestag. Original Reichstag. Er kann sich an die Prozession der Huren erinnern, gar nicht so lange her, da hatten sie diese Fahne dabei, da war das Dach leer, Berlin Berlin, wir fahren nach Berlin!, all die Huren vorm Reichstag, vorm Bundestag, wie hat er gelacht, als er das im Fernsehen sah, und wie haben sie beide gelacht, sein Dickerchen, die gerne dabei gewesen wäre, aber sich dann doch da raushielt, aber es gut fand, dass es da abging, dass da die Rechte eingefordert wurden. Schilder und Transparente, der Chorus der Huren und dazwischen die Fahne, die jetzt wieder hier anzeigt, dass die Geschäfte immer noch gehen, dass die Frauen aufeinander bauen, aber das ist auch irgendwie nur eine Utopie. Aber eine schöne. Die wenigstens halb wahr ist, halb wahr geworden ist. Mit dem Marsch nach Berlin.
»Außerdem ist der Zersetzungsgrad äußerst gering, und der Grundwasserspiegel ist innerhalb des Moores höher als in der weiteren Umgebung. Auf den Hochmoorflächen befinden sich meistens kleine Erhebungen, Bulte, und wassergefüllte Senken, Schlenken, sowie kleine Seen, die auch ›das Moorauge‹ genannt werden.«
Er schüttelt den Kopf, damit die Stimmen verschwinden. Er drückt und piept sich durch die
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