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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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rausfischte aus dem großen Goldfischglas Aufbau Ost, in dem selbst die Paten absaufen konnten.
    »Ich schau’s mir an. Kann gut werden. Kann groß werden. Spricht vieles dafür im Moment. Der Zeitpunkt ist gut. Die richtigen Leute. Die richtigen Informationen. Ist viel Geld drin. Muss viel Geld rein.« Und jetzt ist er auf dem Weg, auf der Reise. Wollte das selbst machen, so wie früher.
    Du musst etwas finden, im Dunkeln, am Rand, und dann dort das Licht anzünden, dass es bis ins Zentrum leuchtet wie ein riesiger Weihnachtsbaum! Das weiß sein Partner in der Stadt im Osten. Der eine eigene Baufirma hat. Unter anderem. Der ihm zuhört. In Immobilien macht. Unter anderem. Ein junger Mann mit Visionen. Mit Plänen. Der an die Rotlicht-Aktie glaubt. Dreiunddreißig Jahre alt. Oder vierunddreißig? Spielt ja keine Rolle, also so genau. Und auf dem Weg nach oben. Der dazulernt. Lernen, lernen und nochmals lernen . (Da mussten sie beide lachen, weil das von Lenin ist. Und sie heben die Becher und schmieden den Pakt. Oben in jenem Hotel, die Bar in der siebenundzwanzigsten Etage.) Der Kontakte aufbaut und ausbaut. Informationen verwaltet. Das Monopol der Modelwohnungen besitzt beziehungsweise auf dem Weg dorthin ist. Der ihn an seine eigene Jugend erinnert. Obwohl die anders war. An seinen eigenen Weg. An seine eigene Kraft. Initiative. Der Wille, etwas aufzubauen, etwas Großes zu schaffen, auf einem Markt, der nur noch von seinen Mythen lebte, der plötzlich hier im Osten, nach der großen Stunde null, geformt werden konnte. Und der Junge war dabei. Hatte mit ein paar Spielotheken angefangen, so hieß es. Hatte das Geld in Wohnungen investiert. Hatte von Anfang an gewusst, dass auf der Straße nur das Kleingeld zirkulierte. (Und sie blicken über die abendliche Stadt und träumen von der Aktie Rot, dem seriösen Markt der Leiber. Und der alte Bielefelder vergisst für einen Moment, dass er Pläne hatte, die weit über diese Zusammenarbeit hinausreichten, dass der Junge nur das Mittel …, und die Stadt, seine Dependance im Osten, glitzert trübe im Abendlicht wie ein Haufen bunter Glasmurmeln.)
    Wälder, Felder, Dörfer. Verfallene Bauernhäuser und Höfe im Regen. Und der Abend kommt schnell. Von wegen Südamerika. Was sollte er dort? In der Nähe von Osnabrück hat er ein kleines Haus, wo seine Frau sitzt, die nicht wirklich seine Frau ist. Nur einmal hat sie was gesagt, wegen Heirat. Das wundert ihn, dass sie ihn nicht drängt, nach all den Jahren. Oder gedrängt hat. Weil sie ja aus einer sehr bürgerlichen Familie kommt. Kleine Stadt. Fast ein Dorf. Und ihre Eltern haben nicht viel von ihm gehalten. Obwohl er ein von im Namen hatte. Aber was heißt das schon? Und er hatte seinen Namen geändert, viele Jahre vorher. Hat es ihr aber irgendwann erzählt. Die Legenden waren eh nicht aufzuhalten. In den Siebzigern nannte man ihn den »Graf«. Er hat mit Ministern gesoffen, mit und ohne von , weil’s eh nur um die Kohle geht, und die Hände der großen Banker geschüttelt, Bänder zerschnitten und Richtfeste gefeiert mit Presse und Prominenz. Hurenhäuser, Saunaclubs, Modelwohnungen, Call the Girls! Und in der Branche hat er die größten Spießer getroffen, Nippes in der Schrankwand und weiße Couchgarnitur und Kindersitz im Auto. Er hasst diesen Familienscheiß. Sein Partner in der Stadt im Osten baut sich was auf. Auch mit Familie. Macht’s richtig. Aber was heißt das schon?
    Das Haus hat er Ende der Achtziger gebaut, als er sie kennenlernte. Da war sie noch Lehrerin. Grundschule. Soziale Ader. Studium Soziologie nebenher. Da galt sie schon als Exotin in diesem Nest. Jetzt kommt’s ihm hässlich vor, aus einer anderen, längst vergangenen Zeit. Dieses Haus. Flaches Dach. Kleiner Garten. Alles weiß. Da draußen, einen von diesen verkommenen Höfen, sowas sollte er kaufen. Für die Rente. Und aufbauen. Baggerträume. Als Ruhesitz. Mit oder ohne sie. Das berührt ihn nicht. Ist noch verdammt lange hin. Es findet sich immer jemand. Kaltes Herz. Aber er braucht die Geschäfte. Die Stadt. Die Städte. Die Burg. Die Clubs. Die Weiber. Das Geld. Die Strategien des Marktes. Die Konkurrenz. Die Spekulation. Die Investitionen. Die Informationen. Die Spieler. Das Fließen . Die Blicke in die Zukunft. Und die Blicke zurück. Sein Bruder hat die Ruhe weg (inzwischen) und verdient gutes Geld in Bielefeld. Wie sie zusammen aufgewachsen sind in der Nähe von Stuttgart. Da muss er oft dran denken in der letzten Zeit. Er war acht

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