Im Strudel der Gefuehle
beobachtete Wolfe sie. Er wußte genau, daß sie nur so tat, als schliefe sie. Ihr ganzer Körper war angespannt, und von Zeit zu Zeit überlief sie ein Schaudern, als spürte sie den Hauch einer eisigen Brise auf ihrem Nacken. Offensichtlich hatte sie keine Fragen mehr zu Willow Black. Und es bestand kein Zweifel daran, daß sie nichts mehr zum Thema der Frauen hier im Westen hören wollte.
Mit einem grimmigen Lächeln zog sich Wolfe den Hut in die Stirn, legte die Füße auf den gegenüberliegenden Sitz und gratulierte sich stillschweigend dazu, endlich eine schwache Stelle im aristokratischen Schutzpanzer von Lady Jessica Charteris Lonetree gefunden zu haben. Er hatte bereits daran zu zweifeln begonnen, daß es überhaupt so eine Stelle gab. Ihre Sturheit hatte ihn überrascht. Er hatte damit gerechnet, daß sie viel früher aufgeben und nach England zurückgehen würde. Immerhin war sie daran gewöhnt, sich bedienen zu lassen, ununterbrochen zu Teegesellschaften und Bällen eingeladen zu werden und von all denen beschützt und verwöhnt zu werden, die ihr bezauberndes Lächeln auch nur von weitem erblickten.
Nichts davon war in Amerika eingetroffen. Wolfe hatte sie mit Absicht allein gelassen. Als das ihrer Entschlossenheit keinen Abbruch tat, hatte er ihre Bediensteten entlassen, was ihm allerdings größere Schwierigkeiten bereitet hatte als ihr. Niemals würde er die seidige Spannung ihres Haares vergessen können, als es sich beim Bürsten um ihn wickelte; oder die weiblichen Kurven ihres Rückens, umgeben von kostbarer Unterwäsche, als er ihr Kleid für sie zuknöpfte. Niemals würde er den Moment der Angst vergessen, als er ihren Schrei hörte, oder das erleichterte Lachen, als er wußte, daß sie in Sicherheit war, wenn auch als Gefangene ihres eigenen Zopfes.
Ein Mädchen, das so hilflos ist, wird es nicht lange hier draußen aushalten, sagte sich Wolfe immer wieder. Der "Westen braucht Frauen mit Durchhaltevermögen. Frauen wie Willow.
Doch letztendlich waren es nicht Willows blondes Haar und ihre haselnußfarbenen Augen, die durch seine Träume und Gedanken geisterten. Es war das rothaarige Elfchen, das kristallklare Tränen um ihn vergoß.
3
Das Schweigen zwischen Wolfe und Jessica blieb bis zum Nachmittag ungebrochen, als eine junge, hochschwangere Frau in die Kutsche stieg. Sie hatte nur einen einzigen Koffer, und er mußte am hinteren Teil der Kutsche befestigt werden, weil Jessicas Koffer den größten Teil der Ladefläche auf dem Dach in Anspruch nahmen. Wolfe hatte beschlossen, daß sie nur drei ihrer Koffer auf die Reise mitnehmen durfte. Der Rest ihres Gepäcks war auf eine Frachtkutsche in Richtung Denver verladen worden.
»Vielen Dank, Sir«, sagte die junge Frau, als Wolfe ihr in die Kutsche half. »Ich fürchte, ich werde mit jedem Tag ein bißchen unbeholfener.«
»Sie haben es bestimmt nicht leicht in Ihrem Zustand«, sagte Wolfe und betrachtete verstohlen die Taille des Mädchens. Im gedämpften Licht, das hier im Inneren der Kutsche herrschte, sah es so aus, als wäre sie mindestens im sechsten Monat. »Reisen Sie allein?«
Als das Mädchen den freundlichen Tonfall in Wolfes Stimme hörte, lächelte sie schüchtern und senkte den Blick. »Ja, Sir. Ich konnte es nicht mehr aushalten, von meinem Ehemann getrennt zu sein. Meine Tante und mein Onkel wollten, daß ich in Ohio bliebe, bis das Baby kommt, aber ich konnte einfach nicht mehr warten. Mein Mann ist nämlich in Fort Bent stationiert.«
»Dann haben Sie eine längere Reise vor sich als wir. Wir fahren nur bis Denver.«
Die junge Frau setzte sich mit einem dankbaren Lächeln und glättete dabei mit den Händen ihren Rock. Ihre Kleider sahen genauso teuer aus wie Jessicas. Das Mädchen konnte kaum älter als siebzehn sein. Offensichtlich war ihr der Gedanke unangenehm, eine so lange Fahrt mit der Postkutsche antreten zu müssen.
»Ich werde mich zum Kutscher auf den Bock setzen«, sagte Wolfe. »Dann haben Sie es bequemer.«
»O nein, Sir«, wehrte sie hastig ab, ohne zu ihm aufzuschauen. »Bei dem Wetter da draußen würde man keinen Hund vor die Tür jagen. Außerdem sind Sie nicht dafür verantwortlich, wenn ich nervös bin, sondern die Wildnis da draußen. Es gehen Gerüchte um, daß es hier Indianer gibt.« Sie erschauderte. »Ich bekomme eine Gänsehaut bei der Vorstellung, daß diese blutrünstigen Heiden hier ganz in der Nähe sein könnten.«
Wolfe ließ sich seine Belustigung nicht anmerken.
»Nicht alle
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