Im Strudel der Gefuehle
Selbst für jemanden mit Wolfes unglaublicher Treffsicherheit war es ein Ding der Unmöglichkeit, unter diesen Bedingungen einen sauberen Schuß abzugeben.
Gelassen nahm sich Wolfe ein Ziel nach dem anderen vor und gab einen Schuß nach dem anderen ab. Dabei beachtete er gar nicht weiter, daß er hier oben auf dem Dach der Kutsche für jeden gut sichtbar war, der auf ihn schießen wollte. Der Mann, der den Indianern zu entkommen versuchte, war in weit größeren Schwierigkeiten als er selbst.
Das Pferd des Fremden fiel um einige Meter hinter die Kutsche zurück. Alles, was die Indianer jetzt noch davon abhielt, ihr Opfer zur Strecke zu bringen, war das vernichtende Feuer, das ihnen vom Dach der heftig schaukelnden Postkutsche entgegenschlug.
Mit zusammengebissenen Zähnen und einem Gebet auf den Lippen beobachtete Jessica, wie der Mann in einer langgezogenen Kurve auf die Kutsche zusteuerte. Als er direkt neben der Kutsche war, riß sie die Tür auf und stieß Mrs. O’Conner beiseite.
Der Reiter stellte sich in den Steigbügeln auf, ergriff mit der rechten Hand den Gepäckträger und schwang sich durch die geöffnete Tür ins
Innere der Kutsche. Erst jetzt fiel Jessica auf, wie groß der Mann war. Er war ein ganzes Stück größer als Wolfe.
Sie zog die Tür hinter dem Mann zu. Eine Kugel prallte mit einem gespenstischen Heulen vom eisernen Beschlag eines Rades ab.
»Besten Dank, Ma’am«, sagte der Fremde. »Können Sie mir vielleicht sagen, ob dem Gentleman auf dem Dach inzwischen die Munition ausgeht?«
»O Gott!« Jessica ergriff Wolfes Reisetasche und begann hastig darin zu wühlen. »Irgendwo hier muß welche sein. Sie war ein Hochzeitsgeschenk, genau wie das Repetiergewehr.«
»Das hört sich nach einer Hochzeit an, an der ich auch meinen Spaß gehabt hätte.«
Jessica schaute auf und sah in die müden, wenn auch leicht belustigten grauen Augen des Fremden. Ohne ein weiteres Wort streckte sie die Hände aus. In jeder Handfläche lag eine Schachtel mit Munition. Entsetzt bemerkte sie, daß dem Fremden Blut aus einem Ärmel tropfte.
»Sie sind ja verletzt!«
»Ich werde es überleben, was ich Ihnen und Ihrem Mann zu verdanken habe. Mit der rechten Hand kann ich nun einmal nicht schießen, und mein Pferd hätte es bestimmt auch nicht geschafft, diesen Indianern davonzulaufen.«
Instinktiv duckten sich die beiden, als von draußen ein Kugelhagel gegen die Wand der Kutsche prasselte. Ein Pfeil durchschlug einen der seitlichen Vorhänge und bohrte sich in die gegenüberliegende Wand, wo Mrs. O’Conner sich zusammengekauert hatte. Beim Anblick des Pfeils begann sie erneut zu kreischen.
Der Fremde schenkte der Schwangeren weiter keine Beachtung. Er ergriff eine Handvoll Munition und wandte sich einem der vorderen Fenster zu. Sein schrilles Pfeifen übertönte das Kreischen des Mädchens. Durch den zerrissenen Vorhang streckte er seinen Arm so weit es ging in Richtung Kutschbock. Noch im selben Moment riß ihm jemand die Munition aus der Hand.
Die Kutsche schlingerte wild hin und her, so daß der Mann mit dem verwundeten Arm gegen die Wand geschleudert wurde. Mit einem unterdrückten Fluch ließ er sich in einen der Sitze sinken, griff unbeholfen zu seiner anderen Körperseite hinüber und zog mit der rechten Hand seinen Revolver.
Mrs. O’Conner kreischte, was das Zeug hielt.
Jessica lehnte sich über den breitschultrigen Fremden und begann, Mrs. O’Conner zu schütteln. Als das nichts half, ohrfeigte Jessica sie gerade fest genug, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. Das Kreischen hörte genauso abrupt auf, wie es begonnen hatte.
»Ist ja schon gut«, sagte Jessica, nahm das zu Tode erschreckte Mädchen in den Arm und streichelte ihr aufgelöstes Haar. »Schreien hilft auch nicht weiter. Davon bekommen Sie nur Halsschmerzen. Wir werden schon durchkommen. Es gibt keinen besseren Schützen als meinen Mann.«
»Das kann ich nur bestätigen«, sagte der Fremde, ohne den Blick vom Fenster abzuwenden. »Er sitzt da oben wie ein Gentleman auf seinem Schießstand, und was er aufs Korn nimmt, das trifft er auch jedesmal.«
Mrs. O’Conner zuckte zusammen, als Wolfe erneut das Feuer eröffnete. Diesmal fing sie jedoch nicht wieder an zu kreischen. Schützend legte sie die Arme um ihren Bauch und zitterte, während die Kutsche sie hin und her schüttelte. Jessica warf ihr ein ermutigendes Lächeln zu, bevor sie sich wieder dem Fremden zuwandte.
»Kann ich Ihnen irgendwie helfen, Sir?«
»Es ist lange
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