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Im Strudel der Gefuehle

Titel: Im Strudel der Gefuehle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Lowell
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Aristokraten. Wenn die sich über den »wilden Sohn des Grafen«, lustig machten, hatte das mit gesundem Menschenverstand genausowenig zu tun. Alles, was sie sahen, war Wolfes Mutter und die Tatsache seiner unehelichen Geburt. Der Mensch selbst interessierte sie kaum.
    Schließlich schlief Jessica ein. Sie wurde erst wieder wach, als sie Schüsse hörte und Mrs. O’Conner einen lauten Schrei der Angst ausstieß.
    »Indianer!« schrie das Mädchen und bekreuzigte sich ängstlich. »Jesus und Maria, steht mir bei!«
    Jessica sprang auf und riß die Vorhänge zur Seite, während die Schreie der jungen Mrs. O’Conner im Inneren der Kutsche widerhallten. Zuerst konnte Jessica nichts weiter erkennen als die eintönige Landschaft. Dann stellte sie fest, daß die Landschaft in Wirklichkeit gar nicht so flach und eintönig war. Das Land war sanft gewellt und bot damit Mensch und Tier Schutz vor den Elementen. Außerdem bot es reichlich Gelegenheit, erschöpfte Reisende in einen Hinterhalt zu locken. Offenbar hatte hinter einem dieser sanften Hügel eine Gruppe Indianer auf die Postkutsche gewartet.
    »O Gott«, flüsterte Jessica, als sie hörte, wie von den Hügeln auf die Kutsche geschossen wurde.
    Wolfe saß auf dem Dach der Kutsche, gut sichtbar für jeden Schützen. Der Kutscher hatte gewöhnlich eine Schrotflinte dabei, aber diese Waffe war auf große Entfernungen nicht treffsicher genug. Sie war bestenfalls dazu geeignet, auf kurze Distanz den Weg frei zu schießen, nicht aber, um einen Indianerüberfall abzuwehren.
    Die Peitsche des Kutschers knallte immer und immer wieder, während er das Letzte aus den mächtigen Pferden herauszuholen versuchte. Mit jedem Schlagloch schlingerte die Kutsche wild hin und her, und
    Schlaglöcher gab es reichlich. Jessica riß sich so gut es ging zusammen und starrte aus dem Fenster.
    Die Indianer ritten der Kutsche ein Stück voraus und hielten sich hauptsächlich links von ihr. Für einen sauberen Schuß war die Entfernung zu groß. Langsam kamen sie näher, wobei sie unablässig auf die Kutsche feuerten. Jessica war oft genug bei der Jagd dabeigewesen, um zu erkennen, daß die Falle - wenn es sich wirklich um eine Falle handelte - zu früh zugeschnappt war.
    Mrs. O’Conners Schreie hatten mittlerweile die Schmerzgrenze erreicht. Sie fing an, wild an der Tür zu rütteln, als ob es im Inneren der Kutsche nicht sicher genug war. Als Jessica die Hände der jungen Frau ergriff und sie von der Tür wegzerren wollte, ging Mrs. O’Conner wie ein Raubkatze auf sie los. Jessica versetzte ihr eine Ohrfeige, die ihre Hysterie sofort beendete. Ihre Schreie gingen in ein Schluchzen über. Sie ließ sich zu Boden sinken und vergrub das Gesicht in den Händen.
    In der plötzlich einsetzenden Stille hörte Jessica, wie Wolfe mit der Faust von außen gegen die Tür hämmerte und dabei ihren Namen rief. Offenbar hatte er so lange versucht, sich Gehör zu verschaffen, bis er die Geduld verloren hatte.
    »Jessica, hör mit dem Schreien auf, verdammt noch mal, und reich mir den Gewehrkoffer nach oben!«
    Alles, was die verschreckte Mrs. O’Conner hörte, war eine ungeduldige männliche Stimme und undeutliche Worte.
    »Was?« schrie sie, und ihre Stimme war so schrill, daß man sie kaum verstehen konnte.
    »Der Koffer auf dem Boden!« rief Wolfe noch einmal. »Reich mir den Koffer nach oben!«
    Jessica hatte bereits den Koffer ergriffen und reichte ihn durch das geöffnete Fenster nach draußen. Bevor sie noch ein Wort sagen konnte, war ihr der Koffer aus der Hand gerissen. In Sekundenbruchteilen war er verschwunden, so als hätte er Flügel. Jessica mußte sich festhalten, um das wilde Schlingern der Kutsche abzufangen. Dabei warf sie einen
    Blick aus dem Fenster. Die Indianer waren in einer Bodensenke verschwunden.
    Plötzlich tauchte ein Pferd auf dem Kamm auf und begann, neben der Kutsche herzugaloppieren. Der Reiter klammerte sich tief geduckt an den Rücken seines Pferdes und trieb das Tier, das bereits Schaum vor dem Mund hatte, unbarmherzig an. Der Reiter war kein Indianer.
    Eine unregelmäßige Formation von Indianern stürmte mehrere hundert Meter hinter dem Mann den Hang hinauf. Mit vereinzelten Schüssen, die sie auf den Flüchtenden abgaben, versuchten sie ihn aufzuhalten.
    Oben auf dem Dach der Kutsche stand Wolfe auf und visierte am matt schimmernden Lauf des Gewehrs entlang die Indianer an. Sie waren mehr als dreihundert Meter entfernt, und die Kutsche schlingerte wild hin und her.

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