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Im Strudel der Gefuehle

Titel: Im Strudel der Gefuehle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Lowell
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Kutscher an seinem langen, buschigen Schnurrbart. Erleichtert lächelte sie ihn an. Sie konnte sich nicht vorstellen, welche Wirkung dieses Lächeln auf einen Mann haben mußte, der seit Monaten keine weiße Frau mehr gesehen hatte; geschweige denn eine Frau in einem Kleid, das von einer geschickten Schneiderin so entworfen wurde, daß es Brust und Taille wie ein hauchdünner Schleier betonte. Sogar jetzt noch, als sie mitgenommen und lädiert von der langen Reise war, sah sie wie eine Orchidee im Schnee aus.
    »Mir war kalt«, sagte Jessica. »Ich habe den Rauch gesehen.«
    »Komm doch rein«, forderte sie einer der Männer auf und erhob sich. Er deutete auf die Bank, wo er gesessen hatte. »Schön warm und bequem, genau wie ich.«
    Einige der Männer lachten.
    Der Mann, der sie angesprochen hatte, sah nicht schlecht aus. Er war groß und kräftig, hatte gerade Zähne und ebenmäßige Gesichtszüge. Seine Kleidung war abgetragen, doch von guter Qualität. Er trug einen schweren Staubmantel. Er war der einzige hier, der rasiert war. Seine Haltung hatte etwas Vornehmes an sich.
    Und doch löste etwas an diesem jungen Mann in Jessica tiefstes Unbehagen aus. Seine Augen waren wie der Wind - farblos, leer und kalt. Er beobachtete sie wie eine Schlange ein Kaninchen. Unwillkürlich bekam sie eine Gänsehaut, als wenn ihr Körper sich instinktiv gegen diesen Blick sträubte. Insgeheim wünschte sie sich, wieder mit Wolfe an ihrer Seite in der Postkutsche zu sitzen.
    Am liebsten hätte Jessica sich umgedreht und wäre geflüchtet. Doch sie spürte ganz genau, daß jedes Zeichen von Schwäche gegenüber diesem Mann nur dieselbe Wirkung haben konnte, als wenn man einem Rudel wilder Hunde ein verletztes Tier unter die Nase hielt.
    »Mein Name ist Raleigh«, sagte der junge Mann und tippte sich an den Hut; eine Geste, die mehr unangemessene Vertraulichkeit als Höflichkeit an den Tag legte. »Aber alle hübschen Mädchen nennen mich Lee.«
    »Vielen Dank, Mr. Raleigh«, sagte Jessica mit vollendeter Beherrschung, »aber es ist wirklich nicht nötig, daß Sie aufstehen. Es reicht mir schon, wenn ich nur dem Wind für eine Weile entkommen kann.«
    »Unfug«, widersprach er und kam auf Jessica zu. »Warum kommst du nicht hier rüber, wo es warm ist?« Er versetzte einem der Männer im Vorbeigehen einen Tritt. »Steamer, setz deinen Hintern in Bewegung und sieh zu, daß die hübsche englische Lady etwas zu essen bekommt.«
    »Schottische«, berichtigte sie leise und versuchte, die Ruhe zu bewahren, obwohl jede Faser ihres Körpers sie zur Flucht trieb.
    »Was?«
    »Ich bin schottischer Abstammung.«
    Ein dünnes Lächeln spielte um Raleighs Züge, als er Jessicas Arm ergriff. »Wie du willst, Kleines. Und jetzt komm her und erzähl mir, was ein hübsches Mädchen wie du hier in der Kneipe vom Schielenden Joe macht.«
    Mit einem eisigen Windhauch öffnete sich hinter Jessica die Tür.
    Wolfe betrat den Raum. In seiner Sonntagskleidung wirkte er fehl am Platze. Im gedämpften Licht des Saloons schimmerten die Einlegearbeiten des Karabiners in seiner Hand wie flüssiges Gold. Die Waffe hatte etwas von einer giftigen Schlange an sich — eine bedrohliche Schönheit.
    »Morgen, Jungs«, sagte Wolfe.
    Einige der Männer schnauften überrascht, andere warfen ihm mißtrauische Blicke zu. Trotz seiner Kleidung konnte jeder sofort an seinem Tonfall erkennen, daß er hier im Westen groß geworden war.
    Mit einem gleichgültigen Blick, der beinahe schon an Beleidigung grenzte, schaute Wolfe sich um. Obwohl seine Augen keinen der sieben Männer aussonderten, hatten alle das Gefühl, als wolle er sich ihre Gesichter bis in alle Ewigkeit einprägen. Nur Raleigh schien die Gefahr unbeeindruckt zu lassen, die sich in Wolfes ausdruckslosen Augen abzeichnete.
    »Ganz schön unangenehm, der Wind da draußen«, sagte Wolfe beiläufig.
    Zustimmendes Gemurmel erklang.
    Raleigh ließ seine Hände sinken und stand völlig gelassen und entspannt da, während er Wolfe beobachtete. Jessica sah, daß Raleighs Staubmantel sich einen Spalt geöffnet hatte. Die rechte Hälfte fiel unauffällig zur Seite und gab den Blick auf seinen Revolver frei, den er an seiner Hüfte trug.
    »Da sieh mal einer an«, sagte Raleigh und stieß einen leisen Pfiff aus. »Das ist ja ein ausgefallener Karabiner. So einen habe ich noch nie gesehen.« Er streckte die Hand aus und erwartete offensichtlich, daß der gutgekleidete Städter ihm seine Bitte nicht abschlagen würde.

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