Im Strudel der Gefuehle
lange, bis er tot ist. Und dann bist du eine reiche Witwe, die ihr ganzes Leben vor sich hat.« Sie lächelte gequält. »Wenn du dich lieber so skandalös wie eine gewisse französische Herzogin aufführen möchtest, dann nur zu.«
»Ich würde lieber sterben, bevor ich einem Mann erlaube, mir seinen Willen aufzuzwingen.«
Victoria antwortete ihr mit einem freudlosen Lachen. »Ach, Jessica. Du hättest eigentlich in eine erzkatholische Familie gehört und einem geistlichen Orden beitreten sollen. Aber leider ist es ja so nicht gekommen. Du bist nun mal die einzige Nachfahrin eines protestantischen Mädchens aus dem Hochland und eines Grafen aus dem Süden. Die Adelstitel und die Ländereien hat jemand anderes geerbt, so daß dir selbst keine Reichtümer geblieben sind. Dir bleibt daher nichts anderes übrig, als zu heiraten. Lord Gore mag vielleicht nicht gerade ein Muster eines Gentlemans sein, aber sein Vermögen ist groß genug, um dir ein Leben in Luxus zu ermöglichen.«
»Das hast du mir bereits mehr als einmal erklärt.«
»In der Hoffnung, daß du eines Tages auf mich hören würdest«, entgegnete Victoria.
»In Amerika hat man die Sklaverei abgeschafft. Ich wünschte, wir gingen in England nur halb so rücksichtsvoll mit den Frauen um.«
Eine weiche Hand schloß sich um Jessicas Kinn. »Was für ein starrköpfiges, kleines schottisches Ding du doch bist«, sagte Victoria. »Doch in diesem Fall kann ich noch starrsinniger sein als du. Du hast alle Vorzüge genossen, die ein Leben in der Oberschicht zu bieten hat. Eine Frau in deinem Alter aus dem gemeinen Volke wäre schon vor Jahren vom erstbesten Kerl, den sie unter ihre Röcke gelassen hätte, zum Kinderkriegen überredet worden.«
Jessica verzog angewidert den Mund.
»Mein zweiter Mann hat dich behandelt, als wärest du sein eigenes Kind«, fuhr Victoria unbarmherzig und mit unterkühlter Stimme fort. »Du wurdest dazu erzogen, ein großes Haus zu führen und ein Vermögen zu verwalten. Obwohl du ständig diese grauenhafte amerikanische Zofe nachahmst, hast du gelernt, wie man ordentliches Englisch spricht und sich wie eine Dame benimmt. Und nun ist es an der Zeit, dieser großzügigen Erziehung gerecht zu werden, indem du einen Nachkommen zur Welt bringst, der die Reichtümer der Familie des Grafen mit denen des Handelsimperiums von Lord Gore verbindet.«
Jessicas lange, kastanienbraune Wimpern senkten sich, um den Ekel in ihren Augen zu verbergen. »Bitte...«
»Nein«, unterbrach sie die alte Frau. »Ich habe mir deine Beschwerden schon viel zu lange angehört. Ich habe dir immer zuviel Freiheit gelassen, aber das ist jetzt vorbei. Deine Verlobung mit Lord Gore wird genau um Mitternacht bekanntgegeben. Und noch in diesem Monat wirst du heiraten. Wenn dem alten Säufer seine müden Knochen nicht vorher noch den Dienst versagen, wirst du innerhalb des kommenden Jahres einen Erben zur Welt bringen. Damit hast du deine Pflicht erfüllt. Danach kannst du so leben, wie es dir gefällt.«
»Oh, Lady Jessica«, jammerte Betsy, »ich glaube, Ihr solltet lieber nicht allein zu Mr. Lonetree gehen.«
Jessica drehte sich ungeduldig um. Betsy stand neben ihr vor dem Spiegel und war damit beschäftigt, ihrer Herrin das kostbare Collier abzunehmen und ihr langes, seidiges Haar zu bürsten. Normalerweise übte dieses Ritual eine beruhigende Wirkung auf Jessica aus, doch heute abend machte es sie nur nervös. Sie begann, auf und ab zu gehen wie eine Raubkatze im Käfig. Ihr spitzenbesetzter Morgenmantel, den sie während ihrer abendlichen Toilette trug, raschelte, und der hellblaue Stoff bauschte sich bei jedem Schritt.
»Es gibt keinen anderen Ausweg.«
»Aber...«
»Schluß jetzt«, unterbrach sie Jessica. »Du erzählst mir ununterbrochen davon, daß die Frauen in Amerika mehr Rechte haben, wenn es um die Wahl eines Ehemanns geht und darum, wie sie ihr Leben zu leben haben. Wenn ich schon heiraten muß, will ich mir wenigstens meinen Mann selber aussuchen und mein Leben so einrichten, wie es mir gefällt.«
»Ihr seid aber keine Amerikanerin.«
»Noch nicht.« Mit einem heftige Ruck zog Jessica ihren Morgenmantel fester um sich. »Amerikaner besitzen keine Adelstitel oder große Reichtümer und brauchen deshalb auch keine Erben. Mit einem Amerikaner als Mann brauche ich keinen widerwärtigen ehelichen Pflichten nachzukommen und keine grauenvollen Schwangerschaften durchzustehen.«
Zögernd wandte Betsy ein: »Auch amerikanischen Männern gefällt
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