Im Sturm der Leidenschaft (German Edition)
nun, was er wissen wollte und Madrigals flackernder Blick hatte ihm verraten, dass Arabinda wohl nicht wieder das Steuer in die Hand bekommen würde.
Der Alte schlenderte über das Deck und kratzte sich nachdenklich die nackte Brust. Er blieb stehen und sah sich um, als ob ihm langweilig wäre und er nach einem Partner suche, mit dem es sich schwatzen ließ. Dann ging er gemächlichen Schrittes zu Jorges, der am Ende des Decks hockte und mit einem Messer an einem Stück Holz schnitzte.
»Was machst du da?«, fragte der Alte.
Jorges lächelte verlegen, ehe er erwiderte: »Einen Speer schnitze ich. Könnte sein, dass wir so etwas bald gut gebrauchen können.«
»Hmm«, machte der Alte, hockte sich neben Jorges, schirmte die Augen mit der Hand ab und sah hinaus auf das Meer in Richtung Küste. Im selben Moment hörten sie eine Möwe schreien. Der Alte und Jorges blickten nach oben und verfolgten den Flug des Vogels mit den Blicken.
»Wirst dich beeilen müssen mit dem Speer«, sagte der Alte.
»Die Küste ist nicht mehr weit. Es wäre gut, wenn die Frauen dies wüssten.«
Jorges sah den Alten fragend an, doch der lächelte und klopfte dem Jungen leicht auf die Schulter. »Du weißt doch, wie die Weiber sind. Wollen sich putzen beim Landgang und schön tun. Wir Männer müssen uns darauf einstellen. Wäre gut, wenn Zeit zur Vorbereitung bliebe.«
Jorges schüttelte ein wenig verständnislos den Kopf über die seltsamen Reden des Alten. Doch dieser zwinkerte ihm zu, und endlich verstand Jorges.
»Ja«, erwiderte er und zwinkerte zurück. »Dann werde ich mal mit den Vorbereitungen für den Landgang beginnen.«
»Gut so, mein Junge«, lobte der Alte und wies mit einem leichten Kopfnicken auf eine Kiste, die am Fuße des Hauptmastes stand. »So wie die Weiber ihre Kleiderkisten haben, so haben wir Männer unsere eigenen Kisten, die uns zu Diensten sein müssen.«
Jorges nickte. Er hatte verstanden. Als der Alte gegangen war, schnitzte er noch ein wenig an seinem Speer herum, dann stand auch er auf, ging über das Deck und kletterte schließlich die schmale Stiege zum Laderaum hinunter. Er tastete sich im Halbdunkeln in die letzte Ecke und fand Suleika und Charlotta in ihrem Verschlag.
»Geht es Euch gut?«, fragte er die Frauen.
»Danke. Und dir, Jorges?«
»Mir auch. Wir erreichen bald die Küste. Schon fliegen die ersten Möwen über unser Schiff. Kalikut kann nicht mehr weit entfernt sein.«
»Was sollen wir tun, Jorges? Was geschieht da draußen? Was plant Dom Pedro?«
Jorges zuckte mit den Achseln. »Ich weiß es nicht. Noch ist alles ruhig an Deck. Aber ich habe schon Vorsorge für Eure Befreiung aus dem Verlies getroffen.«
Mit leuchtenden Wangen und glänzenden Augen stand der schmale Junge vor den beiden Frauen, die auf dem Boden des Verschlages saßen. Er war stolz darauf, diese beiden wunderschönen jungen Frauen zu seinen Freunden zählen zu dürfen. Bald konnte er beweisen, dass er dieser Freundschaft würdig war.
»Der Alte hat mir ein Beil gezeigt. Und in einer Kiste auf Deck sind mehrere Messer versteckt. Wenn es soweit ist, komme ich und zerschlage das Schloss«, sprudelte er hervor.
Doña Charlotta lächelte. »Sei vorsichtig, Jorges. Bring dich nicht in Gefahr. Und mach dir um uns keine Sorgen.«
Der Junge nickte, leerte seine Taschen, aus denen die besten Bissen seines eigenen Mahles ans Licht kamen, dann wollte er gehen, doch Suleika hielt ihn zurück.
»Was ist mit Vasco da Gama, Jorges? Und wie geht es Arabinda?«, fragte sie.
Jorges schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Dom Pedro hält beide gefangen. Nino bringt ihnen das Essen. Doch auch er hat strengstes Verbot, mit ihnen zu sprechen.«
Wieder nickte Suleika, dann schickte sie den Jungen weg, ehe sein Fernbleiben Aufsehen erregen konnte.
Sie wusste, dass Jorges jede erdenkliche Möglichkeit in Betracht ziehen würde, um den beiden Männern mitzuteilen, dass die Küste nahe war. Und sie wusste auch, dass sie sich auf ihn verlassen konnte. Doch die Angst um sie schnürte ihr das Herz zusammen, so dass sie tief aufseufzte.
»Was ist?«, fragte Charlotta.
Suleika atmete einmal tief durch, dann erwiderte sie: »Nichts, Doña. Wir müssen abwarten, was geschieht.«
Geduld war noch nie Charlottas Stärke gewesen. Und auch jetzt hieb sie mit ihrer kleinen Faust auf den Boden des Verschlages und rief verzweifelt aus: »Wie lange sollen wir denn noch warten? Und worauf warten wir überhaupt? Ach, ich habe es satt, untätig
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