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Im Tal der bittersüßen Träume

Im Tal der bittersüßen Träume

Titel: Im Tal der bittersüßen Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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stumpf vor Grauen.
    »Gib ihnen Wasser, soviel sie wollen«, sagte Paddy. »Diesen da draußen. Bring ihnen zehn Eimer hinaus! Sag ihnen, sie können noch mehr haben!«
    Er wartete darauf, was sie tun würden, beugte sich über das Geländer und starrte auf die hockenden Indios in ihren weiten Ponchos. Zwei Capatazos kamen mit den Eimern und stellten sie vor das Tor; sie mußten fünfmal laufen, es war eine wirkliche Qual – als sie vom letzten Gang zurückkamen ins Innere der Hacienda, lehnte sich einer von ihnen an die Mauer und erbrach sich.
    Paddy wartete. Was taten die Indios? Zehn Eimer mit kaltem, klarem Wasser. Zehnmal zehn Liter – dafür könnte man seine Mutter ermorden …
    Die Indios erhoben sich wie auf ein Kommando. Sie traten an die Eimer, hoben sie vom Boden und schütteten das wertvolle Wasser, schütteten das kalte, herrliche Leben über ihre Toten. Dann warfen sie die Eimer weg, schlugen auf die Esel ein und trotteten mit ihren Karren zurück ins Tal.
    »Das Tor zu!« schrie Paddy außer sich. »Schießt die Geier ab! Schießt!«
    Lagarto muß durchgekommen sein, dachte er und klammerte sich daran wie an ein Gnadengesuch. Er ist nicht zurückgekehrt, er hat's geschafft. Übermorgen sieht die Welt wieder anders aus …
    Er ging ins Haus, stellte sich an seine gläserne Bar und begann zu saufen. Etwas wie Fröhlichkeit kam in ihm auf, eine Hochstimmung, die an Wahnsinn grenzte.
    Miguel Lagarto bog an der Straßengabelung nach rechts ab. Er sah das Dorf vor sich liegen, die Kirche mit dem schmalen Turm, den weiten Platz davor, leer und wie gefegt. Kein Mensch – nur ein paar struppige, knochige Hunde waren zu sehen, Skelette mit Fellen überzogen. Sie kläfften ihn mit bleckenden Zähnen an, als er die ersten Häuser erreicht hatte, und rannten neben dem Landrover her. Ihr Gebell lockte noch andere Hund an, von überall kamen sie her, aus dem Schatten der Häuser, aus den heißen Gassen, ein Heer von Hunden, das den Wagen begleitete, aufgerissene Schnauzen mit spitzen Zahnreihen, wie tollwütig vor Hunger und Durst.
    Lagarto bremste vor der Kirche. Er fuhr so nahe wie möglich an die Tür heran, aber dann wagte er doch nicht auszusteigen. Zwei Schritte durch diese wilde Hundemeute – es schien ihm unmöglich, das zu überleben. Die Tiere sprangen an der Wagenwand empor, fletschten die Zähne, stießen mit den Köpfen gegen das Blech und starrten Lagarto aus geröteten Augen an.
    Mein Gott, dachte er, leben hier noch Menschen, oder ist das ein Dorf der Hunde geworden? Haben sie alle Bewohner zerrissen? Evita, o mein Gott, was ist mit Evita geschehen? Nirgendwo ein Mensch, nur Hunde … Hunde …
    Er zuckte heftig zusammen, als er plötzlich durch das Gekläff den Klang eines Harmoniums hörte. Also doch noch ein Mensch, durchfuhr es ihn. Da ist jemand und spielt friedlich Harmonium, während Santa Magdalena stirbt!
    Er drückte auf die Hupe und ließ die Hand auf dem Knopf. Der schrille Ton überdeckte alles, und merkwürdigerweise schien er die Hunde zu beruhigen. Sie verloren ihre Wildheit, standen um den Wagen herum und benahmen sich nicht mehr wie Bestien. Ich bin in ein Land der Wahnsinnigen geraten, dachte Lagarto. Ob dieser Boden, auf dem das Meskalin wächst, Menschen und Tiere so bedrohlich verändert?
    Er beugte sich aus dem Fenster, seine Hupe gellte noch immer und beruhigte sogar ihn und seine vibrierenden Nerven. Plötzlich sprang die Tür der Kirche auf, und ein hagerer Mann in einer weißen Soutane kam heraus. Über dem Priesterrock trug er, nach Mexikanerart, einen breiten Patronengürtel, und in den Händen hielt er schußbereit eine Maschinenpistole.
    Lagarto nahm die Hand von der Hupe. »Pater Felix«, sagte er laut. Die Hunde saßen um den Wagen, ihre Zungen, blau und geschwollen, hingen aus den Schnauzen, sie hechelten so stark, daß ihre knochigen Körper durcheinandergeschüttelt wurden. »So sieht Pater Felix aus …«
    »Und so der reiche Miguel Lagarto! Steigen Sie aus, Señor.«
    »Die Hunde, Pater …«
    »Die Hunde sind zu schwach zum Fressen. Sie bellen nur. Wie die Menschen hier.«
    »Wo ist Evita?«
    »Bei ihrem Mann, wo sie hingehört.«
    »Sie haben mich gleich erkannt, Pater?«
    »Ihre Tochter ist das durch Schönheit verklärte Abbild von Ihnen. Sonst hat sie mit Ihnen nichts gemeinsam.«
    »Können wir darüber sprechen, Pater?« Lagarto wischte sich über das staubige Gesicht. »Oder soll ich sagen: Kann ich bei Ihnen beichten?«
    »Nicht aus dem Fenster eines

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