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Im Tal der bittersüßen Träume

Im Tal der bittersüßen Träume

Titel: Im Tal der bittersüßen Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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der Schönsten von Santa Magdalena. Mehr wert als ein Faß voll Wasser.
    Juan-Christo krampfte sich das Herz zusammen, als er an Jack Paddys bulligen Körper und die bevorstehende Nacht dachte. Er zeigte auf Pedro Chiraxetl. »Will er?«
    Pedro nickte stumm. Auch die anderen Familienmitglieder nickten. Nur die Urmutter sagte mit einer hellen Stimme: »Ein ganzes Faß voll Wasser! Ein Faß voll! Ein Faß voll!«
    »Untersuche sie, Juan!« Der Alcalde winkte. Rosalie zog das Kleid über ihren Kopf. Ihr nackter, brauner Körper glänzte, das Feuer vom gemauerten Herd zuckte über ihre steilen Brüste. Sie ließ die Arme sinken und lächelte verschämt.
    »Eine Schande!« sagte Juan-Christo.
    »Ein ganzes Faß Wasser!« rief die Urmutter schrill. »Ich verdurste! Soll ich verdursten?«
    »Leg dich hin!« Juan-Christo begann mit der Untersuchung. Er war kein Arzt, aber er hatte bei Dr. Högli genug gelernt, um zu sehen und zu ertasten, wo ein Körper krank war. Er drückte auf den Magen und den Bauch, leuchtete Rosalie mit einer Taschenlampe in die Augen und fühlte ihren Puls. Dann stand er wortlos auf und starrte den Alcalden an. Die Familie Chiraxetl rührte sich nicht; sie hockte an der Wand wie eine Ansammlung Fledermäuse.
    »Kann sie gehen?« fragte der Alcalde. »Ist sie gut genug für den Señor Paddy?«
    »Sie ist genau richtig!« Juan-Christos Stimme schwankte. Rosalie zog das Kleid wieder an und kämmte ihr Haar. Ihre Arme zitterten. »Sie – sie muß sich beeilen …« sagte er heiser.
    »Sie geht sofort mit!« Der Alcalde winkte.
    Ein wenig schwankend verließ Rosalie das Haus. Draußen heulte ein Motor auf.
    Eine halbe Stunde später kniete Juan-Christo in der Ambulanz von Pater Felix. Er hatte die Hände gefaltet und den Kopf tief gesenkt.
    »Was hast du noch zu sagen, Juan?« fragte Felix.
    »Segnen Sie mich, Pater.« Juan-Christo hob den Kopf. Sein Gesicht war nicht voll gläubiger Scheu, es glänzte in einer fast wahnsinnigen Freude. »Ich habe den Tod zu Señor Paddy geschickt. Rosalie hat die Cholera.«
    Sie hatten sich wenig zu sagen, Dr. Högli und Miguel Lagarto. Nach der tränenreichen Begrüßung zwischen Vater und Tochter – Högli verstand, daß Evita trotz aller Enttäuschungen, trotz ihrer Loslösung aus der schillernden Scheinwelt ihres Vaters, für einen Augenblick nichts weiter war als ein glückliches Kind – saßen sie sich gegenüber, tranken Tee, mit etwas Maisschnaps gemischt, und redeten aneinander vorbei. Als Pater Felix wieder abgefahren war, wurde die Unterhaltung einsilbig und frostig; auch Evita konnte mit krampfhafter Fröhlichkeit die Atmosphäre nicht verbessern.
    »Wie soll es weitergehen?« fragte Lagarto, als jede gemeinsame Minute zur Qual wurde. »Ich habe versucht, aus dem Tal zu kommen – es ist unmöglich! Polizei und Militär beschießen jeden, der sich blicken läßt.«
    »Wir müssen auf ein Wunder hoffen«, sagte Dr. Högli gleichgültig.
    »Es gibt keine Wunder!«
    »Dann werden wir uns damit abfinden, daß wir hier verrecken.«
    Lagarto verkrampfte die Finger ineinander. »Das sagen Sie so einfach dahin … verrecken! Wer hat denn diese Lage in Santa Magdalena geschaffen? Warum verdursten hier die Menschen, warum breitet sich die Cholera aus? Es ist Wasser genug da. Paddy braucht nur die Leitungen aufzudrehen.«
    »Dann fragen Sie Paddy und den Himmel, Mr. Lagarto. Für die Sonne bin ich nicht verantwortlich …«
    »Aber für Paddys Haltung!« rief Lagarto.
    Dr. Högli nickte. »Ja!«
    »Und das sagen Sie so ruhig? Haben Sie denn überhaupt kein Verantwortungsbewußtsein?«
    »Vater!« rief Evita warnend. Sie tastete nach Höglis Hand und hielt sie fest. Ihre Finger waren kalt, wie gefroren. Sie lächelte ihn an, scheinbar eine glückliche junge Frau – aber sie erstarrte fast vor Angst.
    »Es geht um das Meskalin und das Haschisch. Als ich das ›Hospital Henri Dunant‹ übernahm, fand ich von meinem Vorgänger nur einen Brief vor. Er selber war abgereist, fast fluchtartig, wie mir Juan-Christo nachher sagte. Alle Ärzte vor mir haben Santa Magdalena bei der ersten sich bietenden Gelegenheit verlassen, als würden sie von Gespenstern weggejagt. Ich habe sie, ohne Kenntnis der Sachlage, Feiglinge genannt. Ich habe geglaubt, sie hätten kapituliert vor der Hitze, der Einsamkeit, dem Dreck und Staub, den Indios, der unmenschlichen Mühe, die es kostet, hier ein funktionierendes Hospital zu unterhalten. Ich wußte nichts von Jack Paddy und seinen

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