Im Tal der bittersüßen Träume
braucht einen Arzt. Da ist es völlig gleichgültig, ob er Pierre Porelle heißt. Außerdem bekommen wir fünfhundert Liter reines, kaltes Wasser.«
»Gut! Dann komme ich mit.«
»Nein, du bleibst hier.«
Sie antwortete nicht, band sich ein Kopftuch um und stellte sich vor die Tür. Verblüfft sah Dr. Högli, wie aus Evita plötzlich eine zu allem entschlossene Wildkatze werden konnte.
»Ohne mich kommst du nicht aus diesem Zimmer«, sagte sie. »Ab heute wird es nichts mehr geben, was wir nicht gemeinsam tun! Ich gehöre zu dir wie deine rechte Hand, dein rechtes Auge, die Hälfte deines Herzens.«
Zehn Minuten später brachen sie auf. Sie setzten sich in Dr. Höglis Hospital-Jeep mit dem aufgemalten großen Roten Kreuz. Ihnen folgte ein Bauernwagen mit einem Holzfaß, gezogen von zwei klapprigen, abgemagerten Eseln. Vier kräftige Indios mit breiten Macheten und einem alten Militärgewehr aus den neunziger Jahren, das sie irgendwo versteckt gehalten hatten, begleiteten sie.
Als sie an der Kirche vorbeikamen, ließ Pater Felix kurz die Glocke läuten. Es hatte sich bereits im Dorf herumgesprochen, daß der Doktor Wasser von der Hacienda holte. Es versprach ein Feiertag zu werden – schöner als Weihnachten oder Ostern.
Bis dicht vor die Hacienda folgte ihnen eine Menschenschlange wie bei einer Prozession.
Es gibt Wasser, Amigos, Wasser! Unser Doktor heilt für Wasser! Für einen Tag können wir den großen Durst vergessen!
Als sie vor dem Tor der Hacienda stehenblieben, lag auf dem leeren Faß ein kleiner, verwelkter Blumenstrauß.
Jack Paddy stand auf der Veranda, bullig, die Hände in den Hosentaschen, den Kopf so angezogen, daß sich im Nacken drei dicke Hautwülste bildeten. Seine Capatazos standen schwer bewaffnet am Tor und auf hölzernen Gestellen, von denen aus sie die Mauer überblicken konnten.
Die Hacienda war zu einer Festung geworden.
Dr. Högli machte dem Fahrer des Wagens mit dem Wasserfaß ein Zeichen und ließ den Jeep erst einmal allein durch das geöffnete Tor rollen. Die Mexikaner grinsten ihn verlegen an. Uns trifft keine Schuld, Doktor, hieß dieses Grinsen. Wir sind auch nur arme Hunde, die von Paddys Geld leben müssen. Wir haben Frauen und Kinder, und die meisten haben auch noch die Eltern bei sich wohnen, die Großeltern und was so alles zu einer familia gehört. Du kennst es doch, Doktor: Ein ganzes Haus voller Verwandter, und alle leben von unserem Lohn. Da darf man nicht denken, sondern nur gehorchen, wenn man einen patrono hat, der so gut zahlt wie Mr. Paddy.
Dr. Högli bremste vor der Terrasse und stieg aus. Auf der anderen Seite schwang sich Evita Lagarto aus dem Jeep. Paddy zögerte, aber dann kam er doch die Treppen herunter.
»Ich heiße Sie willkommen in meinem Haus, Miß Evita«, sagte er brummig. »Ich brauche ja wohl nicht zu fragen, ob Sie den Brief Ihres Vaters mitgebracht haben.«
»Ich habe ihn verbrannt.«
»Brav!« Paddy starrte Dr. Högli wütend an. »Ich habe es mir gedacht. Ihre Humanitätsduselei hat dadurch wieder eine Spritze bekommen. Übrigens, wo ist der Pfaffe?«
»Braucht man ihn schon?« Dr. Högli holte seinen Arztkoffer aus dem Jeep. »Hat man Porelle so zugerichtet?«
»Darüber reden wir noch!« Die Indios hatten sich rund um den Wagen auf die Erde niedergelassen und saßen in der Sonne. Paddy zeigte auf das Faß vor dem Tor. »Steckt er vielleicht da drin, der Pfaffe?«
»Wo ist der Kranke?« fragte Dr. Högli laut.
»Also gut. Eins nach dem anderen.« Paddy winkte zu seinem großen, prunkvollen Haus hin. In der Tür stand Antonio Tenabo, die Hände an den breiten Gürtel gelegt, an jeder Seite hing ein großkalibriger Revolver. Dr. Högli blieb stehen und schob sich vor Evita.
»Paddy, Sie hatten mir freien Abzug zugesichert!«
»Den haben Sie, Doktor!«
»Ich komme jetzt als Arzt, nicht als Ihr Gegner.«
»Ich werde mir den feinen Unterschied merken.«
»Wenn ich Ihre Kreatur Tenabo ansehe, denke ich immer an Ölfarbe. Ich habe keine Lust, für ihn Leinwand zu spielen.«
»Antonio hat bei mir die gleiche Stellung wie bei Ihnen dieser Affe Juan-Christo. Aber wenn Sie Angst haben, Doktor …« Er winkte mit einer großzügigen Geste, und Antonio Tenabo verschwand im Innern des Hauses.
»Ich glaube, wir können wieder gehen.« Dr. Högli wandte sich ab. »Monsieur Porelle scheint nur einen Schnupfen zu haben. Träufeln Sie ihm Peyotlsaft in die Nase, Paddy, dann vergißt er das Niesen.«
»Stop!« Paddy hielt Dr. Högli am
Weitere Kostenlose Bücher