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Im Tal der Giganten

Im Tal der Giganten

Titel: Im Tal der Giganten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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vor ihnen vielleicht noch kein
anderer Mensch gesehen hatte, und die Welt, in die sie mit
jedem Schritt tiefer eindrangen, war so voller Wunder, daß
es nicht lange dauerte, bis sie allmählich selbst ihre Furcht
zu vergessen begannen. Was Mike am allermeisten
erstaunte, das war der schiere Überfluß an Leben, auf den
sie trafen. Es gab buchstäblich keinen Fußbreit Boden, auf
dem es nicht krabbelte, kroch und sich bewegte, kein
Fleckchen in dem grünen Gewirr über ihren Köpfen, in
dem nicht beständig irgend etwas raschelte, kroch, hüpfte
oder flatterte. Alles schien in ununterbrochener Bewegung
zu sein, und er konnte das Leben, das sie überall, sichtbar
und unsichtbar, umgab, regelrecht fühlen, wie eine
knisternde, unsichtbare Energie, die alles durchdrang. Und
die zweitgrößte Überraschung war, daß dieses Leben zum
allergrößten Teil vollkommen harmlos zu sein schien. Sie
trafen nur zweimal auf Geschöpfe, um die sie
vorsichtshalber einen Bogen schlugen
- einmal auf
eine
Schlange, die vor ihnen über den Weg kroch und deren
Länge Mike nicht einmal zu schätzen wagte, denn ihr
Körper war so dick wie der eines Mannes, das zweite Mal
auf ein riesiges Spinnennetz, dessen Bewohner sie nicht zu
Gesicht bekamen - die Fäden waren so dick wie Mikes
kleiner Finger.
Als sie endlich das Flußufer erreichten, waren sie vollkommen erschöpft. Sie hatten ihre warmen Jacken längst
ausgezogen, aber die Hitze machte ihnen trotzdem zu
schaffen, und das Gehen in dem fast undurchdringlichen
Dschungel war über die Maßen anstrengend gewesen, und
außerdem machten sich auch Hunger und Durst
bemerkbar. Sie hatten ja nicht damit gerechnet, länger als
wenige Stunden auf der Insel zu bleiben, und hatten somit
keinerlei Vorräte mitgebracht. Zwar gab es im Wald
reichlich Früchte und Beeren, aber sie hatten es nicht
gewagt, irgend etwas davon anzurühren. Was verlockend
aussah, mochte in Wirklichkeit giftig sein
-immerhin
bewegten sie sich durch eine Vegetation, die es auf der
Erde gegeben hatte, mehr als sechzig Millionen Jahre,
bevor der Mensch erschien. Zumindest ihren Durst
konnten sie stillen. Mike war der erste, der sich am
Flußufer auf die Knie sinken ließ und die Hände in das
eiskalte Wasser tauchte. Für eine Sekunde schoß ihm die
Möglichkeit durch den Kopf, daß auch dieses Wasser
ungenießbar sein könnte, aber er schenkte diesem
Gedanken kaum Beachtung. Sie konnten ohne Essen Tage,
vielleicht sogar Wochen durchhalten, aber trinken mußten
sie. Aber anstatt bitter oder gar ungenießbar zu sein,
schmeckte das kristallklare Wasser so köstlich und süß
wie selten etwas, das Mike getrunken hatte. Es war sehr
kalt, viel kälter, als er erwartet hatte, und schon die ersten
Schlucke stillten seinen Durst nachhaltig. Trotzdem blieb
er noch eine Weile am Ufer sitzen und blickte auf das
rasch dahinfließende Wasser hinaus. Der Fluß war sehr
breit - sicher eine halbe Meile - und seine Strömung war
so stark, daß an eine Überquerung nicht zu denken war.
Das jenseitige Ufer war nur als grüner Strich zu erkennen,
und der Dschungel setzte sich auch dort drüben fort, so
weit sein Blick reichte. Mike fragte sich, welche
Geheimnisse dieser Dschungel noch bergen mochte. Es
waren nicht nur ein paar Saurier und bisher für
ausgestorben gehaltene Tier- und Pflanzenarten. Er spürte
einfach, daß da noch mehr war. Die wirklichen
Geheimnisse dieser versunkenen Welt lagen noch
unentdeckt vor ihnen, und sie mußten gewaltiger sein, als
sie jetzt auch nur ahnten. Er registrierte eine Bewegung
neben sich und erkannte Serena, die sich gerade auf die
Knie sinken ließ und eine Handvoll Wasser schöpfte, um
zu trinken. Sie sah so erschöpft aus wie sie alle und so
müde und abgekämpft, wie auch Mike sich fühlte, und
trotzdem kam sie ihm in diesem Moment hübscher und
verlockender vor denn je. Er sah sie eine Weile wortlos an,
bis Serena seine Blicke fühlte und sich mit einem
Stirnrunzeln zu ihm herumdrehte.
»Was ist?« fragte sie in scharfem Ton. »Warum starrst
du mich so an? Du denkst sicher dasselbe wie die anderen,
nicht? Du glaubst, daß es meine Schuld ist. « »Deine
Schuld?« wiederholte Mike verständnislos. »Aber was
denn?«
»Daß wir hier sind«, antwortete Serena. Sie begann
plötzlich zu zittern. Ihre Augen schimmerten feucht, aber
noch hielt sie die Tränen zurück. Und Mike streckte
automatisch die Hände aus, schloß Serena in die Arme und
drückte sie schützend an sich, und ganz gegen

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