Im Tal der Mangobäume
Erbe der Mutter, die wunderschönes Haar gehabt hatte. Doch war er ein Bücherwurm und fürchterlich spießig.
Seine Schwägerin war da anderer Meinung. »Charlie ist nicht spießig«, sagte sie. »Er weiß sich einfach zu benehmen. Er hat gute Manieren, so was hat in diesen Tagen Seltenheitswert.«
Natürlich mochte sie Rosa nicht. Sie behauptete, das Mädchen sei verzogen und flatterhaft.
»Alice, wenn sie das wäre«, entgegnete Duncan, »warum hat sie sich dann ausgerechnet einen so ruhigen Zeitgenossen wie Charlie ausgesucht? Gegensätze ziehen sich an, vielleicht?«
»Keinesfalls. Er hat ihr ganz einfach als Erster einen Antrag gemacht, deshalb! Das ist doch sonnenklar. Ich wette, er ist ihr erster ernsthafter Kandidat. Sie ist schön. Das schreckt junge Männer ab, solange sie noch nicht genügend männliches Selbstvertrauen gewonnen haben. Charlie war einfach als Erster am Zug und sie hat bei der ganzen Aufregung den Kopf verloren.«
Er lachte. »Hast du auf die Art etwa deinen ersten Mann geheiratet, Alice?«
»Allerdings«, erwiderte sie eisig. »Und habe es zeitlebens bereut.«
Rivadavia kam mit Charlie ins Arbeitszimmer, der auf ein Glas Port bei ihnen blieb, ihre Begeisterung für den Stammbaum des Bullen allerdings nicht recht teilen konnte und sich deshalb auf die Suche nach seiner Frau machte.
Für Charlie war der lange Tag fast vorüber. Dolour war zur letzten Ruhe gebettet worden. Er fragte sich, wie Juan nun so allein in diesem großen Haus zurechtkommen würde.
Auf dem Weg durch den breiten Korridor mit dem polierten Boden und dem edlen rot gemusterten Läufer griff er nach der kühlen weißen Wand. Er hatte den Bauarbeitern beim Bau des Hauses zugesehen und gegenüber einem Zimmermann seiner Verwunderung über die außerordentlich breiten Korridore Ausdruck gegeben.
»Genau so will er sie aber«, hatte der Mann erwidert. »Und zwar im ganzen Haus.«
Und sie wurden gut genutzt, nickte Charlie, während er an einer Vitrine und an einem mit Schnitzereien versehenen thronähnlichen Stuhl aus Ebenholz vorbeiging. Sämtliche der hier ausgestellten Kunstgegenstände interessierten ihn brennend, wie auch das Haus selbst. In seinen Augen passte dieser Baustil viel eher zu dem Klima als die in Queensland so beliebten hohen Holzhäuser.
Er entdeckte Rosa in der Eingangshalle, wo sie sich gerade vom letzten Gast verabschiedete. Donner rollte über den östlichen Himmel.
»Hoffentlich regnet es«, sagte sie. »Das würde uns Abkühlung verschaffen.«
»Das tut es zwangsläufig. Die letzten Tage war es zu heiß, selbst für diese Jahreszeit. Meinst du, wir sollten uns auf den Heimweg machen, bevor es zu stürmen beginnt? Sieht sehr schwarz aus da draußen.«
»Ich möchte Vater heute Nacht nicht allein lassen. Vielleicht könnten wir ja hier übernachten?«
»Wenn er das möchte? Dann selbstverständlich, mein Liebes.«
»Ja. Ich frage ihn.« Sie blickte sich traurig um. »Auf einmal ist es so still, findest du nicht, Charlie? Ich warte immer darauf, dass Dolour aus dem Salon herausgeeilt kommt oder an uns vorbeistürmt, um etwas zu erledigen.«
Er nickte teilnahmsvoll und legte einen Arm um sie.
Mrs.Forrest und Lucy Mae saßen in der vorletzten Kutsche, die knirschend die Zufahrt hinunterfuhr und auf die belebte Sycamore Road einbog. Milly nahm es in diesen Dingen immer sehr genau. Niemand sollte ihr nachsagen können, sie sei als Letzte aufgebrochen.
»Du warst sehr still da drin«, meinte Lucy Mae. »Vermisst du Dolour sehr?«
»Ja, ich vermisse sie schrecklich«, schniefte Milly.
»Das tut mir leid. Es muss hart sein, eine so gute Freundin zu verlieren.«
»Allerdings.«
Es war auch schwer, sinnierte Milly, den allerbesten Tratsch zu kennen und ihn niemandem erzählen zu können. An Lucy Mae wäre er verschwendet.
»Lady Rowan-Smith habe ich gar nicht gesehen. War sie in der Kirche?«
»Nein«, entgegnete Lucy Mae. »Ich glaube, sie ist über den Sommer nach Sydney gereist.«
»Ach so.« Milly zuckte die Achseln.
»Sie hat Dolour doch gar nicht gekannt, oder?«
»Das nicht, aber Pace.«
»Das ist wohl kaum ein Grund, auf diese Beerdigung zu gehen. Der ist ja schon seit Jahren tot.«
»Das weiß ich selber!«, schnauzte Milly. Sie verschränkte die Arme und setzte sich auf dem gut gepolsterten Sitz zurück. Lucy Mae beugte sich vor und schloss die Fenster gegen den Regen. »Ich glaube, morgen nehmen wir den Vormittagstee im
Victoria Hotel
ein«, setzte Milly leise hinzu.
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