Im Tal der Sehnsucht
versprochen, mit dir auszureiten.“ Plötzlich kam ihr ein Gedanke. „Wir reiten doch zu zweit … oder in Gesellschaft?“
„In Zweiergesellschaft“, antwortete er. „Ich möchte mit dir allein sein. Die übrige Familie kümmert mich nicht.“
„Einverstanden.“ Sie wandte sich ab.
„Damals liebtest du mich“, klang es sehr leise hinter ihr her.
Wie angewurzelt blieb sie stehen. Oh, wie recht er hatte! Am liebsten hätte sie sich ihm an die Brust geworfen, ihn umarmt und nie wieder losgelassen. Er hätte die Arme um sie gelegt und sie geküsst. Dann hätte sie das Bewusstsein verloren, oder vielleicht wäre ihre Seele in seine übergegangen.
Doch das alles durfte nicht sein. Stattdessen ging sie langsam zu ihm zurück, stellte sich auf die Zehenspitzen, um seinem geliebten, gefürchteten Gesicht ganz nah zu sein, und flüsterte: „Jetzt nicht mehr.“
In der Verstellung lag Sicherheit. Es war tausendmal besser, sicher als verzweifelt zu sein.
Über eine Stunde ritten sie durch eine Landschaft, die Leona nie schöner erschienen war. Von der Ostküste bis weit ins Outback hinein hatte Regen die trockene Erde durchtränkt und über Nacht zu neuem Leben erweckt. Das Licht schimmerte golden durch die Bäume, frische Blumen bedeckten verschwenderisch den Boden, und zahllose süße Düfte hingen in der Luft.
So selbstverständlich neben Boyd her zu reiten war köstlicher, als es sich beschreiben ließ. Leona würde die Erinnerung daran für immer festhalten: an seinen Anblick, an die Vertrautheit, in die sich aufregende Fremdheit mischte, an das geliebte Profil mit der ausgeprägten Kinnpartie. Kein Zweifel, mit ihm war ein Traum wahr geworden.
Nachdem sie einige Zeit freies, sonniges Gelände durchquert hatten, kamen sie an einen der vielen Bäche, die Brooklands durchzogen. Unter den Bäumen, die seinem Lauf folgten, wandte Boyd sich lächelnd zu ihr. „Gefällt es dir?“ Selbst im Halbschatten, unter dem frech zur Seite geneigten hellgrauen Hut versprühten seine blauen Augen ihr Feuer. Und Reitkleidung stand Boyd besonders gut.
„Ich genieße jede Sekunde“, schwärmte Leona unbekümmert, „schon wegen des vielen Wassers. Man sieht und hört es fast überall.“
„Ja, das ist der besondere Reiz von Brooklands.“ Er sah amüsiert in ihr strahlendes Gesicht. „Im Sattel fühlst du dich offenbar nicht von mir bedroht.“
Sie lachte. Die Zügel der schnellen, absolut trittsicheren arabischen Stute, die sie ritt, lagen locker in ihrer Hand. „Ich könnte dir ja jederzeit davongaloppieren.“ Nach einer kleinen Pause fügte sie hinzu: „Allerdings hast du nie etwas getan, wodurch ich mich hätte bedroht fühlen können.“
„Ich glaube doch.“
Er sagte das so eigenartig, dass Leona betroffen zur Seite sah.
„Das klingt, als würde es dir etwas ausmachen.“
„Natürlich macht es mir etwas aus.“
„Das spricht für dich.“ Sie fühlte sich plötzlich unsicher, fast ein wenig schwindlig. „Dann weißt du wenigstens, dass bei mir nicht alles nach deinem Willen geht.“
Boyd beugte sich vor, um seinem Braunen die Mähne zu kraulen. „Glaubst du, ich will dir meinen Willen aufzwingen?“
„Manchmal fürchte ich mich sogar vor dir.“
„So ein Unsinn!“, fuhr er auf.
„Nein“, beharrte Leona. Ihre Wangen glühten, und das Atmen fiel ihr schwer. Fast wäre sie in Tränen ausgebrochen, so nah ging ihr alles. Wie sollte sie einem Mann wie Boyd da gewachsen sein?
„Dann werde deutlicher“, forderte er sie auf. „Wovor hast du Angst?“
„Vor allem“, entfuhr es ihr, „aber darum musst du dich nicht kümmern. Du kannst nichts dafür, dass du so bist.“
Trotz der angenehmen Kühle, die am Bach herrschte, rannen Leona einige Schweißtropfen in den Ausschnitt. Sie musste dieses Gespräch beenden, bevor sie von ihren Gefühlen überwältigt wurde. Das wäre ein unverzeihlicher Fehler gewesen.
„Vielleicht wolltest du dich einfach nur schützen“, sagte Boyd, als hätte er damit die Lösung gefunden. Ein Sonnenstrahl huschte über sein Gesicht, das ungewöhnlich ernst war. Fast wirkte er ein wenig verunsichert.
„Wovor?“, fragte sie und merkte, dass ihre Stimme zitterte. Er betrachtete sie nachdenklich. „Weißt du noch, wie du mich als Kind mit deinen vielen Fragen bombardiert hast?“
Leonas Augen leuchteten auf. „Seltsamerweise hast du sie meistens beantwortet.“
„Du warst so neugierig und wolltest alles wissen. Schon als Kind hast du viel gelesen.“
„Das
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