Im Tal der Sehnsucht
Wasservögel nisteten. Gerade glitt eine Schar schwarzer Schwäne unter der Brücke hindurch. Die ruhige, glasklare Wasserfläche, getupft von silbernen Funken, war am Ufer dicht mit weißen Lilien bewachsen, zwischen die sich violette japanische Iris mischten.
Oberhalb des Sees stand das Haus. Es war im Stil eines englischen Herrenhauses erbaut und immer wieder erweitert worden, sodass es inzwischen fast wie ein Schloss wirkte. Eine riesige Rasenfläche mit üppig bepflanzten Beeten dehnte sich vor dem Haus aus.
Als Kind hatte Leona einmal die Zimmer gezählt – es waren zweiunddreißig, einschließlich des großen Ballsaals, wo im Lauf der Jahre viele Familienfeste und Wohltätigkeitsveranstaltungen stattgefunden hatten. Alexa hatte die jährliche Gartenparty zu einem gesellschaftlichen Ereignis ersten Ranges gemacht, worin Jinty ihr leider nicht nacheiferte. Die Gärten von Brooklands waren ideal dafür.
Mit Alexa kann sich niemand messen, welche Tragödie, dass sie so jung gestorben ist!, dachte Leona. Sie fragte sich immer noch, ob Alexa in ihrer Ehe glücklich gewesen war. Natürlich war dieses heikle Thema nie berührt worden, und in der Öffentlichkeit hatten Rupert und Alexa das perfekte Paar gespielt. Leona musste erst erwachsen werden, um die Fremdheit zu spüren, die zwischen beiden herrschte. Im Grunde waren sie getrennte Wege gegangen. Alexa hatte sich um ihren geliebten Sohn gekümmert und ihre beachtliche Energie für die Haushaltsführung und die vielen wohltätigen Einrichtungen eingesetzt, die ihr am Herzen lagen.
Wenn eine solche Frau nach der Heirat nicht glücklich wurde, konnte man, so fand Leona, alle romantischen Gefühle vergessen. Die Ehe war eben doch ein großes Risiko.
Wasser spielte auf Brooklands eine große Rolle. Die zahlreichen Bäche, die sich mitunter zu kleinen Flüssen erweiterten, hatten ihm sogar seinen Namen gegeben: Brooklands – Land der Bäche.
Rechts der Auffahrt lagen in einiger Entfernung die drei Poloplätze, die ein enormes Terrain einnahmen, wenn man bedachte, dass jeder Platz die Größe von zehn Fußballfeldern umfasste. Zwischen den Plätzen waren einheimische und exotische Bäume gepflanzt worden, die ineinanderwuchsen und kühlen Schatten spendeten. Die eigentlichen Gartenanlagen hatte ein berühmter Landschaftsarchitekt entworfen, den Boyds Urgroßeltern engagiert hatten. Rupert ließ später die Poloplätze anlegen, um seinen Lieblingssport auf eigenem Grund und Boden ausüben zu können.
Er war seinerzeit ein ausgezeichneter Polospieler gewesen, überließ es inzwischen aber seinem Sohn, diese Tradition fortzusetzen. Boyd empfand den gefährlichen, temporeichen Sport als echte Entspannung.
Für Sonntagnachmittag war ein Spiel mit einer befreundeten Mannschaft geplant. Obwohl Boyd zu den besten Spielern zählte, zitterte Leona regelmäßig bei dem Gedanken, ihm könnte etwas zustoßen. Polo war ein schnelles, hartes Spiel, aber auch eine Augenweide für die Zuschauer – vor allem, wenn sie Pferdeliebhaber waren.
Der bloße Gedanke an Boyd genügte, um Leona in Aufregung zu versetzen. Ihr Herz begann schneller zu klopfen. Warum fiel es ihr so schwer, ihre Teenagergefühle für ihn zu überwinden? Sie würde sich noch das Wochenende verderben!
Boyd. Schon der Name hatte es ihr angetan, obwohl sie das nicht wollte. Es war nicht richtig, und sie erschrak vor der Stärke ihrer eigenen Gefühle. Ob jemand ahnte, wie schwer es ihr fiel, sich in Boyds Nähe normal zu benehmen? Vielleicht Robbie mit seinem ungewöhnlichen Einfühlungsvermögen.
Sie war jetzt vierundzwanzig. Wurde es da nicht höchste Zeit, mit der Schwärmerei für Boyd aufzuhören und sich anderen Männern zuzuwenden? Bewerber gab es einige. Der Name Blanchard erhöhte ihre Chancen, obwohl sie keine reiche Erbin war. Sie gehörte zu den Arbeitsbienen, und es quälte sie mehr und mehr, unter einer Art Bann zu stehen, der sich durchaus mit Robbies unseliger Spielleidenschaft vergleichen ließ.
Ob Boyd noch mit Ally McNair ausgeht?, überlegte Leona. Ally war hübsch und immer gut aufgelegt. Vor ihr hatte es Zoe Renshaw gegeben, vor Zoe Jemma Stirling und davor Holly Campbell. Leona hatte sie nicht gemocht, denn Holly war ein übler Snob. Und dann war da noch Chloe Compton, die ein Vermögen erben würde und daher Ruperts Favoritin war.
Sie war in der Familie allgemein beliebt – auch bei Leona. Rupert hatte sich förmlich überschlagen, um Chloe zu ermutigen, denn Boyd wurde von
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