Im Tal der Sehnsucht
Monat“, unterbrach Leona die Lobeshymne auf den Blanchard-Erben. Seine Tugenden so lückenlos aufgezählt zu bekommen war unerträglich.
„Ach ja? Dann war ich wohl zu seiner Geburtstagsparty nicht eingeladen.“
„Es gab keine Party. Boyd hatte viel zu viel zu tun.“
„Das mag sein.“ Bei aller Kritik war Robbie nie ungerecht. „Arbeit ist sein Leben, aber was hat er auch erreicht! Er könnte Rupert jeden Tag ablösen. Er und Jinty – nicht gerade mein weibliches Ideal, wie ich schon tausendmal betont habe – sind die Einzigen in der Familie, die den alten Rupert nicht fürchten. Nein, das stimmt nicht ganz.“ Er wurde nachdenklich. „Geraldine hat keine Angst vor ihm, und dich hat er geradezu in sein Herz geschlossen. Mich verachtet er nur.“
„Unsinn.“ Leona schüttelte den Kopf, obwohl sie Ruperts negative Meinung über Robbie kannte. „Er will dich in die Firma übernehmen, sobald du dein Studium abgeschlossen hast.“
Das sollte kein falscher Trost sein, denn Robbie war nicht dumm. Und ihm war klar, das wusste Leona, dass Rupert sie seit ihrer Kinderzeit besonders schätzte. So rau er auch mit anderen Menschen umging, ihr gegenüber hatte er sich immer gütig gezeigt – besonders seit dem tödlichen Reitunfall ihrer Mutter, der legendär schönen Serena.
Schon damals hatte der sechs Jahre ältere Boyd – gut aussehend, klug und schon mit vierzehn einen Meter achtzig groß – sie unter seine Fittiche genommen. Bei Festen und anderen Familientreffen war er ihr Ritter gewesen, und sie hatte ihn als solchen verehrt. Doch mit der Verehrung war es längst vorbei. Inzwischen beschäftigte er sie so nachhaltig, dass sie ihm kaum in die Augen sehen konnte. Er reizte und erregte sie. Es war eine Qual, ihm nah zu sein, aber sie konnte nicht von ihm lassen.
Ihr ganzes Wesen geriet durcheinander, wenn es um Boyd ging. Er machte sie unsicher und jagte ihr Angst ein. Mit einem einzigen Blick konnte er verletzen und gleichzeitig heilen. Wie durchdringend und wie schön diese herrlichen blauen Augen waren! Sie erschreckten sie, doch manchmal drückten sie auch heimliche Anerkennung aus. Dann fühlte sie sich attraktiv, äußerlich und innerlich. Bei anderen Gelegenheiten kränkte Boyd sie wiederum mit kühlen oder scharfen Bemerkungen. Das genügte ihr, um sich klarzumachen, wie wenig eine dauerhafte Verbindung zwischen ihnen beiden infrage kam.
„Ob sie mich eingeladen haben, um mich besser kontrollieren zu können?“, überlegte Robbie laut.
Leona schob ihre Grübeleien beiseite und lächelte. „Wir stehen alle unter ständiger Beobachtung.“
„Als verkehrten wir bei Hofe“, bemerkte er bissig. „Dich halten sie wenigstens für die kluge, begabte junge Frau, die du bist. Deine natürliche Schönheit hilft dir dabei, und du hast die wunderbare Gabe, mit allen Menschen gleich gut auszukommen.“
„Nur nicht mit Boyd.“ Das hatte sie eigentlich nicht sagen wollen, aber Robbie quittierte das Geständnis mit einem gutmütigen Lachen.
„Den Grund dafür kann ich mir denken. Warum reibt ihr euch ständig aneinander? Ist das verabredet? Macht ihr anderen etwas vor?“
„Das wäre zu verrückt.“ Sie sagte das so betont leichthin, als sei jeder Gedanke an eine heimliche Liebe zwischen Boyd und ihr geradezu lächerlich. „Wir reizen uns gegenseitig … das ist alles.“
Andere Erklärungen waren nicht von ihr zu bekommen. Leona war geübt darin, keine weiteren zuzulassen, obwohl sie ständig in ihrem Bewusstsein lauerten.
„Ich finde, ihr passt ausgezeichnet zusammen“, fuhr Robbie fort, als würde er ernsthaft über die Sache nachdenken. „Boyd braucht eine Frau mit flammend rotem Haar. Du würdest ihm unbedingt gewachsen sein. Nun … ich sollte lieber gehen.“
„Hoffentlich nicht zum Pferderennen.“ Leona stand auf.
Trotz seines südländischen Teints wurde Robbie rot. „Kein Grund zur Aufregung, Schwesterchen“, versuchte er sie zu beschwichtigen. „Deborah und ich treffen uns mit Roy Barrington und seiner Clique … nur für einen vergnügten Nachmittag, damit die Mädchen sich schick machen können. Warum kommst du nicht mit? Ruperts Zweijähriger muss einfach gewinnen. Soll ich ein paar Dollar für dich setzen?“
Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe nie die leiseste Versuchung verspürt zu wetten oder zu spielen“, sagte sie ernst. „Jedenfalls nicht um Geld. Ich lasse meinen Verstand arbeiten. Mit Geld wieder Geld zu machen, das ist etwas für Leute wie Rupert.“
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