Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
»Haben Sie nicht gesagt, Sie könnten mich noch weitere Spiele der Nacht lehren? Von Ihnen würde ich jedes lernen wollen – jedes, das Ihnen gefällt.«
Er hob ihr Gesicht in die Höhe und sah ihr geradewegs in die Augen. »Dolores hat recht, Sie sind wirklich ein törichtes Mädchen. Sind Sie sich dessen, was Sie da sagen, überhaupt bewusst?«
»Ja!«, rief sie und reckte sich ihm entgegen, aber er küsste sie nur auf die Stirn.
»Also kommen Sie, törichte Josefa Alvarez. Von Ihrem Vater haben Sie vermutlich nichts Besseres gelernt.«
Er half ihr in seine Kutsche, zog den Vorhang vor und fuhr schweigend mit ihr das kurze Stück durch die Nacht. Sein Haus war schmaler und höher als das von Martina und blendend weiß verputzt. Ein Diener öffnete ihnen, den Jaime sofort mit einem Auftrag seines Weges schickte. Josefa hätte sich gern umgesehen, alle Räume seines Hauses in sich aufgenommen, er aber führte sie die Treppe hinauf bis in das höchste Stockwerk. Was sie auf dem Weg sah, beeindruckte sie dennoch tief. Jeder Gegenstand wirkte erlesen und kostbar, ohne protzig zu sein, und trotz der glanzvollen Einrichtung hatte das Haus nichts von seiner luftigen Geräumigkeit verloren. Jedes Ding stand an genau dem Platz, an den es zu gehören schien, und alles passte perfekt zueinander – ein krasser Gegensatz zu dem zusammengewürfelten Wirrwarr, der sowohl auf El Manzanal als auch in Martinas Palais herrschte.
Hinter der Tür, die er öffnete, lag der Raum, den Josefa sich ausgemalt hatte – ein Salon mit hohen, durch Vorhänge abgedunkelten Fenstern, an dessen linker Wand ein Fortepiano stand. Die übrigen Möbel – ein Tagesbett, ein Teetisch mit einem eingelassenen Jademosaik und zwei Stühle – waren auch hier so angeordnet, dass dem betrachtenden Blick viel Platz blieb. Jade fand sich überall: als Beschwerer für Dokumente, als Schirm über Lampen, auf dem Sims über dem Kamin. Jaime entzündete von den Jadelampen nur die kleinste über dem Instrument. Dort blieb er stehen, drehte sich nach ihr um und hob fragend eine Braue. Josefa wollte nicht länger gegen ihr innerstes Verlangen ankämpfen – weshalb sollte sie? Sie wollte sich alles nehmen, was sie bekommen konnte, das Verbotene wie das Verruchte, alles Glück, jeden seligen Rausch. Quer durch das Zimmer lief sie und warf sich in seine Arme.
»So schnell?«, fragte er.
Sie nickte und küsste ihn.
Als sein Diener anklopfte, ging er, um ihm das Tablett mit Wein abzunehmen. Danach verschloss er die Tür und kam zu ihr zurück. Ihn zu küssen machte süchtig, weckte Gier nach einer Flut ohne Dämme. Sie wollte ihn ganz. All den Stoff von seinem herrlichen Körper reißen und ihn an ihrem spüren, sich in seinem Duft aalen, ihm auf jeden Streifen Haut Küsse geben. Als sie an seinem Kragen nesteln wollte, schob er sie zurück, löste ihn selbst und zog sich langsam das Hemd vom Leib. Josefa hielt den Atem an und nahm in schweigsamer Ehrfurcht seine durch und durch männliche Schönheit in sich auf. Dann hielt sie es nicht länger aus. Sie musste ihn wieder umarmen und die neu entdeckte Haut küssen, die breite Brust, die geraden Schultern, die kleine Grube am Hals.
»Einmal frage ich dich noch: Ist dir bewusst, was du tust?«
»Ich liebe dich«, sagte sie. »Du hast es mir damals auf der Straße nicht geglaubt, nicht wahr? Jetzt beweise ich es dir.«
Silbrig lachte er auf. »Dann tu also, was du nicht lassen kannst, Josefa Alvarez. Jetzt, da der Geist des Pinsels uns verlassen hat, kommt der Stadt ein neuer Skandal wie gerufen. Aber sag hinterher nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.«
Während er sie zum Tagesbett führte, öffnete er ihr das Kleid, und sie warf es fort.
21
D ass sie es bis hierher geschafft hatten, dass sie nicht untergegangen waren, sondern sich behauptet hatten, kam für Franzi einem Wunder gleich. Ihr Mut und ihre Entschlossenheit waren ihre Waffen, doch als der Mut ihr sank und die Entschlossenheit bröckelte, hatte sie dennoch nicht schlappgemacht.
Sie würde sich auch jetzt, da ihr Traum zerplatzt war, nicht unterkriegen lassen. Warum sie am Leben hing, hatte sie nie gewusst. Vielleicht, weil sie nichts anderes als dieses nackte Leben besaß. Sie würde tun, was sie immer getan hatte, die Hände in ihr nacktes Leben krallen und nicht loslassen, egal, was geschah.
Wenn die Hölle einen Namen hatte, dann wusste Franzi ihn zu nennen. Er lautete Veracruz. Die Stadt, die ihr vom Schiff aus wie ein Zauberreich aus
Weitere Kostenlose Bücher