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Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Lobato
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Sie haben eine Nichte.«

22
    O ft, wenn Jaime tief in der Nacht von einer gesellschaftlichen Verpflichtung kam, fand er sie schlafend in seinem Bett. Sie schlief wie ein Kind. Zusammengerollt, den Kopf in der Kugel geborgen. Sobald er sich näherte, erwachte sie und streckte selig lächelnd die Arme nach ihm aus.
    Wo immer er war, auf Empfängen, Bällen, grünen Stunden, begegnete er Frauen, die besaßen, was ihr fehlte – Stil, Kultur, Weltgewandtheit und eine Schönheit, die nicht völlig provinziell war. Immer häufiger dachte er, dass er ihrer längst überdrüssig war. Er hatte unzählige Frauen gehabt, die ihm hündisch ergeben waren, er hatte jede von ihnen verachtet, und sie war die Hündischste von allen. Sie hatte ihn nicht einmal gereizt, als er beschlossen hatte, sie zu nehmen, obwohl sie zart und hübsch war und er ihretwegen neidische Blicke erntete. Gereizt hatte ihn der Vernichtungsschlag, den er ihrem Vater versetzen wollte – das Mädchen benutzen und wegwerfen, wie man es niemals mit den Töchtern von Gouverneuren, wohl aber mit den Bälgern indianischer Pferdeknechte tat.
    Bei einem anderen Vater hätte er mit einer Forderung rechnen müssen. Dem Barbaren aber war der Gedanke, dass ein Mann die Ehre seiner Tochter mit der Waffe zu verteidigen hatte, zweifellos völlig fremd. In Jaimes Augen war er ohnehin nicht satisfaktionsfähig.
    Er wollte diesen Mann betteln sehen. Wenn er tatenlos hinnehmen musste, dass sein geliebtes Töchterchen wie jede beliebige Indio-Hure geschändet wurde, würde er sich entmannt und entwürdigt fühlen, wie es ihm zukam. Er würde nicht noch einmal wagen, bei der Erbin eines Conde seine Hosen herunterzulassen. Und wenn ihm diese eigentümlich stolze, unantastbare Haltung zerplatzte, was war dann von dem Mann noch übrig? Ein Indio mit ein paar verblichenen Triumphen aus einer Zeit ohne Zivilisation. Es würde ein Leichtes sein, ihn vor dem Präsidenten und den Científicos der Lächerlichkeit preiszugeben und sein verfluchtes Entwässerungsprojekt zu kippen. Jaime würde seinem Vater schreiben, noch ehe man diesem verkündete, dass er sich mit dem streitbaren Gouverneur nicht länger herumzuplagen hatte. Ich weiß nicht, warum du es als so schwierig betrachtet hast, dich des Indios zu entledigen, würde er schreiben. Mir erschien es eher wie ein Problem, das sich im Vorbeigehen, quasi von alleine, lösen ließ.
    Die Aufsicht über die Plantage in Yucatán, die sein Vater ihm bisher verweigert hatte, würde dieser ihm danach mit Kusshand überreichen. Nicht Jaime würde noch einmal wie ein Speichellecker darum bitten, sondern der Vater selbst käme angekrochen, um bei ihm den Bittsteller zu spielen. Yucatán, das Rebellennest, wo Wilde die Stirn besaßen, weiße Männer zu ihren Sklaven zu machen, mochte die neue Herausforderung sein, die er brauchte, wenn der Barbar besiegt war. Was hielt ihn zurück, weshalb verschaffte er sich nicht endlich den Triumph, der ihn auf Tage aus der öden Leere retten würde? Was war der Grund für sein Zögern?
    Sie war es. Die unglaubliche kleine Kreatur, ihre Treuherzigkeit und ihr Ungestüm, das keine Erziehung gebändigt hatte. Wenn er in sein Haus kam und sah, wie dieses einfältige, völlig vernunftlose Mädchen ihm die Arme entgegenstreckte, weichte seine Entschlusskraft auf. »Mein armer Liebster, haben sie dich nicht gehen lassen? Du musst ja furchtbar erschöpft sein.« Kam er nicht zu ihr, sprang sie nackt bis auf das Jade-Collier aus dem Bett und umschlang ihn, drückte ihn an ihre blanke, warme Haut und übersäte sein Gesicht mit Küssen.
    Er mochte es nicht einmal. Wie jeder gesunde Mann verspürte er fleischliche Begierde, die aber nach schneller Befriedigung und häufigem Wechsel verlangte. Darüber hinaus war es ihm verhasst, wenn Menschen nach seinem Körper langten, als hätten sie ein Recht darauf. Ihre überschwengliche Zärtlichkeit bereitete ihm keinen Genuss, und im Geschlechtsakt war sie wie jedes Mädchen ohne Erfahrung – unbeholfen und viel zu sanft. Was ihn zögern ließ, sie zu verlassen, war noch immer derselbe sonderbare Gedanke: Wenn ich ein Mensch wäre, den etwas rühren könnte, dann würde diese putzige Kreatur mich rühren.
    Sie zog ihn ins Bett. Manchmal musste er sie regelrecht wegstoßen, um seine Kleider allein abzulegen. Den Champagner schenkte sie ihm in eine Flöte und setzte sie ihm an die Lippen, als wollte sie ihn wie eine Mutter füttern. Sie ärgerte ihn maßlos. Aber zugleich

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