Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
er sprach, war er weiter in Richtung Gleis geeilt, wo sein Zug bereits wartete – drei kümmerliche, staubbedeckte Wagen, denen mehrere Fensterscheiben herausgebrochen waren.
»Tun Sie nicht so, als würden Sie sich um mich Sorgen machen«, fauchte Anavera, die es mit der Angst zu tun bekam. Was, wenn er in diesen Zug einstieg und davonfuhr? Wenn alles umsonst gewesen war und sie für Josefa und Tomás nicht das Geringste erreicht hatte?
Vor der Tür blieb er stehen und streckte die Hand nach dem Griff. Anavera packte seinen Arm mit beiden Händen und versuchte ihn wegzureißen. Sie war stark, gewohnt, einen Hengst zu reiten, aber gegen den kraftvoll gebauten Mann kam sie nicht an. Als sie schließlich entkräftet loslassen musste, hätte er einsteigen können, doch er drehte sich zu ihr um. »Hören Sie, ich kann in gewissen Grenzen akzeptieren, dass Sie glauben, Sie hätten zu dieser unglaublichen Aufführung ein Recht. Ich bin bereit, die ganze Sache zu vergessen, aber sie muss jetzt ein Ende haben. Sie können nicht von mir verlangen, dass ich eine Frau heirate, die ich nicht heiraten will – und auch nicht, dass ich den Mörder meines Vaters lebend davonkommen lasse.«
»Tomás ist kein Mörder!«
»Ich weiß. Ihr Liebster Tomás kann kein Wässerchen trüben und verteidigt nur seine zu Unrecht geschundenen Freunde. Nun gut. Ich verspreche Ihnen, ich werde aus Villa Hermosa telegraphieren und an höchster Stelle darauf dringen, dass der Fall Ihres engelhaften Verlobten nicht zur Verhandlung kommt, ehe ich zurück bin. Wenn es so weit ist, werde ich mich persönlich dafür einsetzen, dass der Prozess auf dem Boden des Gesetzes durchgeführt wird. Seine Vertretung wird ja wohl Ihr Wunder wirkender Vater übernehmen? Da Ihr Herzensgeliebter unschuldig ist, müssten Sie sich damit doch eigentlich zufriedengeben.«
»In diesem Gefängnis werden Menschen gefoltert!«, schrie sie ihn an.
»Ach was, gefoltert. Ein paar erzieherische Stockhiebe und der eine oder andere Tritt sind doch keine Folter.«
Ein Trupp junger Soldaten drängte an ihnen vorbei in den Zug, der ein pfeifendes Signal zur Abfahrt von sich gab. Sanchez Torrijas Sohn befreite sich und stieg ihnen nach. Anavera hallten seine Worte im Ohr. Die Vorstellung, dass Tomás geschlagen und getreten wurde, während sie den Schuldigen entkommen ließ, war unerträglich. Sie hielt den Türgriff in den Händen, als der Zug anfuhr, und mit einem Satz sprang sie auf den Tritt. Hätte Sanchez Torrijas Sohn sie nicht gepackt und mit aller Kraft nach oben gezogen, wäre sie niedergeworfen und zerschmettert worden.
33
D ie Hoffnung hatte Josefa neue Kraft verliehen. Von der Milch und dem Käse, die Anavera ihr hingestellt hatte, konnte sie sogar ein wenig zu sich nehmen, doch mit jedem Tag, an dem Anavera nicht mit Nachricht von Jaime zurückkam, schwand die Hoffnung und mit ihr die Kraft. Was war geschehen? Hatte Anavera sie getäuscht, hatte sie über ihrem Geturtel mit Tomás vergessen, was sie Josefa versprochen hatte? Aber Anaveras Sorge war ihr so aufrichtig erschienen, und wenn sie ehrlich zu sich war, war Anavera ihr Leben lang aufrichtig gewesen. Versprechen, die sie nicht halten konnte, hatte sie nie gegeben. Die heilige Anavera war die Gute unter den Töchtern, die, die nicht fähig war, etwas Schlechtes zu tun.
Aber wenn Anavera nicht die Schuldige war, dann musste es Jaime sein, und das war unerträglich, so viel hielt sie nicht aus. Er musste zu ihr zurückkehren, sie hatte doch alles getan, was er sich wünschte. Und sie bekam sein Kind. Alle Männer wünschten sich Kinder. Sobald er erfuhr, dass sie ihm ein Kind schenken würde, musste er doch zu ihr eilen. Sie würde ihm verzeihen, ohne dass er darum bat. Was immer ihn umgetrieben hatte, es würde vergessen sein, sobald er durch die Tür trat.
Der Lärm in der Mietskaserne trieb sie zum Wahnsinn. Das Geklapper von Absätzen, die Treppe hinauf und hinunter, das Geschrei und Gezänk, Geräusche von Schlägen und noch mehr Geschrei. Jaime musste sie hier herausholen. Für das Kind war die Umgebung Gift. Auch die stickige, stinkende Luft war Gift für das Kind, und dass Josefa sich nicht vernünftig ernährte, machte nichts besser.
Am vierten Tag hielt sie es nicht länger aus und beschloss, sich nach draußen zu schleppen. Wenigstens Luft schnappen, die Straße auf und ab gehen, ehe die Enge des Zimmers sie erstickte. Als sie ihr Haar kämmte, erkannte sie kaum ihr Gesicht. Eine kranke,
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