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Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Lobato
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dann ist sie gegangen, um Jaime Sanchez Torrija daran zu hindern, nach Yucatán zu fahren? Ihre Schwester, die mit Tomás Hartmann verlobt ist – und sie ist seither nicht zurückgekommen?«
    »Was hat denn Tomás damit zu tun?«, fragte Josefa.
    »Ich muss Ihre Schwester finden«, sagte Dolores, griff nach ihrer Mantilla und war schon an der Tür. »Sofort, ehe Ihre armen Eltern bemerken, dass sie verschwunden ist, und sich dafür steinigen. Tomás Hartmann sitzt im Belem-Gefängnis, über ihm schwebt ein Todesurteil. Ihre Schwester wird versucht haben, diesen Unmenschen zu Mitleid zu bewegen, und was er daraufhin mit ihr gemacht hat, male ich mir besser nicht aus. Auch wenn Sie nichts davon hören wollen und mich wieder mit Champagner bewerfen – er hat Sie missbraucht, um Ihren Vater zu Fall zu bringen. Und da Ihr Vater immer noch nicht in die Knie gegangen ist, dürfte sein nächster Schlag auf Ihre Schwester zielen.«

36
    A uf dem Bahnhof von Villa Hermosa wurde Otto Bierbrauer seine Reisetasche gestohlen. Darin befunden hatten sich die Reste seines Wurstvorrats, seine Reisepapiere und die Börse mit all seinem Geld. Sanchez Torrijas Sohn war losgezogen, um sich um ein Hotel sowie um den Reisewagen für den nächsten Morgen zu kümmern, und Anavera, der die Kleider am Leib klebten, hatte den Bahnhof verlassen, weil sie dringend ein wenig Wasser brauchte. Als beide zurückkamen, fanden sie den liebenswerten kleinen Münchner völlig aufgelöst vor. Eine Horde junger dunkelhäutiger Männer war über ihn hergefallen und mit seiner Tasche geflüchtet.
    »Das also sind die zivilisierten Erben der Hochkultur, für die Sie sich so ereifern!«, brüllte Sanchez Torrijas Sohn ihn an.
    Otto Bierbrauer sah aus, als hätte er am liebsten den kugeligen Kopf eingezogen. »Dass Sie sich unter diesen Umständen von mir als Reisegefährten trennen wollen, ist mir selbstredend verständlich«, murmelte er.
    »Haben diese Verbrecher Ihnen auch noch den Verstand gestohlen?«, brüllte Sanchez Torrijas Sohn weiter. »Sie kommen jetzt mit ins Hotel und rücken uns nicht mehr von der Seite, verstanden? Morgen früh fahren wir nach Mérida, wo es verschiedene europäische Konsulate gibt. Sollte man Ihnen dort nicht helfen können, muss eben Ihr Bekannter, dieser Maler oder wie er heißt, in seinem Heidentempel einspringen.«
    »Señor Maler hilft mir sicher gern aus dieser scheußlichen Verlegenheit«, erwiderte Otto Bierbrauer. »Aber wie soll ich bis nach Chichén Itzá denn überhaupt kommen?«
    »Ja wie denn wohl? Im zweirädrigen Karren durch den Dschungel, wie Sie ja die Freundlichkeit hatten, mich zu belehren. Ich lasse meinen Wagen einen Umweg machen.« Otto Bierbrauer schnappte nach Luft, um sich zu bedanken, aber Sanchez Torrijas Sohn brüllte gleich weiter: »Ach hören Sie doch auf. Was soll ich denn sonst tun? Sie hier stehenlassen?« Dann schoss er herum und brüllte statt des Münchners Anavera an: »Und für Sie gilt dasselbe! Was soll ich mit Ihnen machen? Sie in diesem Verbrechernest allein in einen Zug setzen?«
    Anavera wusste keine Antwort, denn sie hatte sich dieselbe Frage draußen am Brunnen auch schon gestellt. Auch wenn sie das stille fremde Villa Hermosa keineswegs als Verbrechernest empfand, war die Vorstellung, den endlosen Weg allein zurückzureisen, bedrohlich. Sie war nie ein ängstliches Mädchen gewesen, doch als junge Frau allein solche Fahrt anzutreten, hieße, das Schicksal geradewegs herauszufordern.
    »Ich muss Sie mitnehmen«, brüllte Sanchez Torrijas Sohn weiter. »Morgen früh gehen Sie gefälligst aufs Amt und telegraphieren Ihrem Vater, damit ich mir den nicht auch noch auf den Hals hole. Ob Telegramme in diesem Busch überhaupt befördert werden, dürfen Sie mich nicht fragen, aber zumindest versuchen müssen Sie es.«
    Triefend vor Hitze, die auch am Abend nicht nachließ, machten sie sich auf den Weg. Insektenschwärme umschwirrten sie und ließen sich nicht wegschlagen, doch die Stadt fand Anavera schön. Zwischen den gelblichen Fassaden der Häuser, den Bogen, Höfen und Türmen erstreckten sich freie Räume, in denen Palmen aufragten und leuchtend rote Flammenbäume blühten. Das Hotel lag über einer Reihe von Arkaden mit Geschäften. Es war gut durchlüftet, verfügte über einen schattigen Patio und bot jedem von ihnen ein geräumiges Zimmer mit Moskitonetz und eigenem Bad. Ehe sie sich auf dem Gang trennten, um sich vor dem Abendessen zu erfrischen, konnte Anavera sich eine

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