Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
zu ihm übersiedeln. Allerdings ist mir zugetragen worden, die Festtagsstimmung in der Stadt rühre daher, dass er sich für mehrere Wochen nach Yucatán davongemacht hat.«
»Nach Yucatán?«, fragte Josefa, die immer schwächer wirkte und sich dringend ausruhen musste. »Nein, nein, nein, nach Yucatán wollte er zwar, aber er ist nicht gefahren.«
Dolores beließ es dabei, auch wenn Franzi glaubte, ihren Blick deuten zu können. Ihr war nur daran gelegen, Josefa so rasch wie möglich in der sauberen Wohnung unterzubringen, und darin hatte sie Franzis Unterstützung. Als Nächstes plärrte die Gruberin noch, sie habe kein Geld und müsse von irgendetwas schließlich leben, und als Dolores versicherte, Josefas Eltern würden sicher gern für sämtliche Kosten aufkommen, schrie Josefa auf Spanisch: »Bitte nicht, Señorita Condesa! Bitte sagen Sie meinem Vater auf keinen Fall, dass ich Geld brauche – auf gar keinen Fall.«
»Müssen Sie Ihren Vater unbedingt noch weiter ächten?«, fragte Dolores traurig. »Wofür denn jetzt noch? Dafür, dass er kein Tiroler Baron ist?«
»Er hätte meiner Tante schreiben müssen, dass es mich gibt«, antwortete Josefa mit winzig kleiner Stimme. »Außerdem will ich nicht noch mehr Geld von ihm nehmen – ich bin doch nicht sein Kind.«
»Das sieht er anders, aber meinethalben bleiben Sie dabei«, entgegnete Dolores.
Einem dieser vielen Väter, die sich um Josefa streiten, könnte ich mich als Ersatz anbieten, dachte Franzi bitter und mutlos. Dann aber schlug Dolores vor, sämtliche Kosten für den Haushalt in der schönen, sauberen Wohnung zu übernehmen. »Wenn Ihr Vater es mir nicht zurückzahlen darf, dann eben der hochedle Grande Jaime Sanchez Torrija«, erklärte sie spöttisch, und damit – Franzi versprach allen Himmeln und Heiligen auf ewig Dank – war Josefa einverstanden.
So waren sie wirklich und wahrhaftig in der schönen, sauberen Wohnung mit den vier Zimmern und den zwei Balkonen, mit den Daunendecken, den Vorhängeschlössern und den riesigen weichen Betten gelandet. Den schönsten Satz sprach Josefa aus, als sie gerade erst angekommen waren. Sie öffnete die Tür zu einem der lichtdurchfluteten Zimmer, wies auf das Bett, auf dem eine mit Rosen bestickte Überdecke lag, und sagte: »Vielleicht möchten Sie dieses Zimmer nehmen, Franziska? Es hat das Fenster zur Straße, aber wenn Sie lieber zum Hof hinaus schlafen wollen …«
Franzi konnte sich nicht erinnern, wann sie zum letzten Mal geweint hatte, doch statt Josefa Antwort zu geben, brach sie in Tränen aus.
Sie besaß ein eigenes Zimmer. Ein Bett und zwei Sessel, so viele Daunendecken, wie sie sich nur wünschen konnte, und an der Tür einen Riegel und ein Schloss. Dabei würde sie beides nicht einmal brauchen, denn in der Wohnung gab es keine Männer. Nur Frauen.
Die Zeit im Paradies würde enden. Aber Franzi würde jeden Augenblick, den sie andauerte, auskosten, damit die Erinnerung für den Rest des Lebens genügte. Dennoch konnte sie nicht verhindern, dass eine winzige Stimme in ihr so beharrlich flüsterte wie damals in Veracruz: Ich gehe hier nie wieder weg. Wäre der Gott auf dem weißen Gipfel nahe gewesen, so hätte sie zu ihm gebetet.
Dolores ging noch einmal los, um Lebensmittel zu bestellen und zu veranlassen, dass ihr Gepäck aus der Pension und aus Josefas Mietskaserne herübergeschickt wurde. Als sie zurückkam, hielt sie einen Strauß tiefblauer Lilien im Arm und füllte damit die Vasen in der Wohnung. Der Duft war überwältigend. »Was mir eben noch eingefallen ist«, sagte sie zu Josefa. »Ihre Schwester Anavera – ist sie nicht noch bei Ihnen in der Vecindada? Vielleicht sollten wir ihr eine Nachricht schicken und sie herbestellen, damit sie sich nicht wundert, wenn die Cargadores wegen des Gepäcks eintreffen.«
»Anavera?«, fragte Josefa ohne Verständnis.
»Ja, Ihre Mutter sagte mir, Ihre Schwester sei zu Ihnen gegangen, um sich um Sie zu kümmern.«
»Aber das ist doch schon vier Tage her!«, rief Josefa entsetzt. »Anavera ist gegangen, um Jaime von dem Kind zu erzählen, damit er nicht nach Yucatán fährt, sondern endlich wieder zu mir kommt. Seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen. Ich weiß ja selbst nicht, warum das alles so eine Ewigkeit dauert. Ich habe das Gefühl, ich halte es nicht länger aus.«
»Einen Augenblick«, unterbrach Dolores, und Franzi sah, dass an ihrer Stirn eine Ader pochte. »Ihre Schwester ist vor vier Tagen zu Ihnen gekommen – und
Weitere Kostenlose Bücher