Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
Geheule der Gruberin kleiner, und hielt mit zitternder Hand die Schachtel umklammert, die sie schon die ganze Zeit über keinen Augenblick lang losließ.
»Würden Sie sich jetzt vielleicht beruhigen?«, fragte Dolores die Gruberin einigermaßen patzig. »Was ist so tragisch daran, ein Kind zu bekommen? Andere Leute bekommen Gelbfieber und wieder andere die geheime Zensurbehörde an den Hals.«
Franzi hätte beinahe losgelacht, aber dann hatte sie auf einmal Mitleid mit der Gruberin, die noch nicht einmal ein Wort der Schimpfkanonade verstand. Es war mehr als komisch – seit ihr Herz Josefa zugeflogen war, fühlte sie sich stark genug, mit der Gruberin Mitleid zu haben. »Bei uns in Tirol ist ein Kind ohne Vater eine Schande«, erklärte sie Dolores. »Wenigstens in den Kreisen von der Gruberin.«
»Bei uns in Mexiko auch«, erwiderte Dolores gelassen. »Aber die meisten Kinder werden ja trotzdem groß, und in den Kreisen, zu denen Ihre Gruberin und ich gehören, müssen sie auch ohne Väter keinen Hunger leiden.«
»Mein Kind hat einen Vater«, murmelte Josefa.
Wenn es keinen hat, könnte es mich haben, dachte Franzi sehnsüchtig, obwohl der Gedanke vermessen war und sie Kinder nicht einmal mochte. Als eine Art Tante, als Dienstmädchen, als irgendwas, wenn sie nur bei Josefa und dem Kind hätte bleiben dürfen. Die Gruberin war nicht recht gescheit – warum war sie nicht froh? Sie hatte sich so sehr dieses Mädchen gewünscht, das schließlich auch ein Bankert war, wie man es nun drehte oder wendete, und jetzt bekam sie noch eines dazu und musste nicht einmal eine weitere Schiffspassage kaufen.
»Vater oder nicht und Kind oder nicht«, sagte Dolores, »als Erstes sollten wir dafür sorgen, dass Sie aus dieser Vecindada herauskommen. Die ist für Sie genauso ungesund wie für ein eventuelles Kind.«
Die Gruberin stieß Franzi gegen den Ellbogen. »Was wird geredet?«, fragte sie. »Wenn es meine Josefa betrifft, muss ich es wissen, dann geht es mich als Erste an.«
Statt Franzi meldete Josefa selbst sich zu Wort, die sich erst jetzt der Gruberin bewusst zu werden schien: »Sie sind also wirklich meine Tante?«, fragte sie leise. »Die Schwester von … meinem Vater?«
Die beiden Verwandten sahen staunend einander in die Augen, und zum ersten Mal war die Gruberin still und hörte auf, wegen des Likörs, des scharfen Essens oder des unerwünschten Kindes vor sich hin zu greinen. Endlich nickte sie und sagte: »Ja, Josefa. Ich bin Therese, die älteste Schwester deines Vaters. Valentin war mein Liebling. Mein Ein und Alles. Von allen jungen Offizieren der Kaiserjäger war er der fescheste und der schneidigste, und wer ihn sah, der hat ihn geliebt.«
Der Gruberin liefen Tränen über ihre Runzelwangen, aber diesmal gab sie keine Geräusche von sich, sondern wischte mit ihrem zerdrückten Taschentuch in den Tränen herum, obwohl sowieso immer wieder neue kamen. »Du bist sein Ebenbild, Josefa. Dasselbe Haar wie reifer Weizen, dieselben grünen, wunderschönen Augen. Er wäre so stolz auf dich gewesen, dein Vater. So stolz.«
Josefas reizendes Gesicht veränderte sich. Sie hatte so verzweifelt gewirkt, dass es Franzi das Herz zusammengezogen hatte, doch jetzt trat auf ihre Züge geradezu ein Leuchten. Nur ihre Hand zitterte weiter und hielt die Schachtel umklammert. »Und er, mein Vater – er war wirklich ein Baron?«
Die Gruberin nickte. »Genauer gesagt, er wäre nach dem Tod unseres Onkels der achte Baron von Tschiderer geworden. Aber das Schicksal schlug ohne Gnade zu, und uns war nicht vergönnt, jenen Tag zu erleben. Valentin starb vor dem Onkel und liegt in der Fremde verscharrt, und mein armer Veit, dein Vetter, der den Titel erbte, ruht nun auch schon in kalter Erde. Nur der Gustl ist übrig. Der schluderige Gustl, der auf nichts ein Anrecht hat.« Die Tränen strömten. »Ach Josefa, meine Josefa. Hätte ich gewusst, dass du lebst, hätte man es für nötig befunden, mir Nachricht zu senden, ich hätte nie gestattet, dass dein Erbe dem Gustl in die Hände fällt. Ich hätte dich nach Hause geholt. Aus diesem Pfuhl des Elends und der Sünde fort.«
»Was wird hier eigentlich geredet?«, fragte Dolores auf Spanisch.
Da Josefa vollauf damit beschäftigt war, die Gruberin anzusehen, übersetzte Franzi.
»Würden Sie Ihrer Gruberin etwas ausrichten?«, fragte Dolores anschließend. »Josefa ist keineswegs in einem Pfuhl aus Elend und Sünde aufgewachsen, sondern auf einem großen Rancho,
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