Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
Gruber – um Josefas Rechte geht es mir!«
»Wir haben Josefa nichts verschwiegen«, sprach Katharina gegen den Klumpen in ihrer Kehle an. »Sobald sie alt genug war, zu verstehen, haben wir ihr erklärt, wie es zu ihrer Geburt kam – so gut man so etwas eben einem Kind erklären kann. Es war viel schwieriger, als du mit deinem schnurgeraden Leben es dir vorstellen kannst, und es hat etwas kaputt gemacht, das wir nie mehr geflickt bekamen. Glaubst du, wenn es anders gewesen wäre, würde Josefa heute von hier fortgehen und nicht einmal wollen, dass ich sie zum Bahnhof begleite?«
Die Tränen übermannten sie, sosehr sie sich für ihre Schwäche schämte. Martina legte die Arme um sie. »Andere Eltern haben auch Kinder, die gegen sie rebellieren«, mahnte sie ungewohnt sacht. »Sogar solche mit einem schnurgeraden Leben, wie du es nennst. Nur haben die vielleicht mehr Vertrauen darauf, dass ihre Kinder, wenn sie sich erst einmal selbst gefunden haben, zurückkehren und sich wieder erlauben, ihre Eltern zu lieben.«
Was immer Martina sagte, es schien Katharinas Tränenflut nur zu steigern. Die Freundin ließ sie weinen. Als Vicente den Kopf zur Tür hereinsteckte, rief sie ihm zu, er solle unten beim Wagen warten. »Ihr verpasst den Zug«, stammelte Katharina, die endlich wieder zu Atem kam.
»Dann fahren wir eben morgen. Die Hauptstadt schwimmt uns schon nicht weg, auch wenn vermutlich wieder der gesamte Osten überflutet ist.«
Katharina versuchte zu lächeln. »Ich heule doch hier und nicht in der Hauptstadt. Und bei uns trocknet den Bauern der Mais von den Stauden.«
Martina hob einen Zipfel der Überdecke und wischte ihr das Gesicht ab. »So ist es schon besser, Süße. Deine Josefa geht doch nicht ans Ende der Welt. Seit die Nordamerikaner uns die grandiose Eisenbahn gebaut haben, ist es nach Mexiko-Stadt der reinste Katzensprung.«
»Aber nach Tirol nicht«, hatte Katharina ausgesprochen, ehe sie sich hindern konnte.
»Aha, von daher weht der Wind. Du verschweigst Josefa, dass ihre Tante sie sucht, weil du Angst hast, sie könnte mit ihr nach Tirol gehen. Deshalb hast du ihrer Reise in die Hauptstadt auch so bereitwillig zugestimmt, nicht wahr? Es war das kleinere von zwei Übeln.«
»Ganz so ist es nicht«, widersprach Katharina. »Zum einen will ich nicht, dass du diese Frau ihre Tante nennst. Josefas Tanten sind Xochitl und Carmen, die sie geliebt und behütet haben, während sie aufgewachsen ist. Und was diese Reise betrifft, so hoffe ich, dass Benito …«
»Dass Benito was?«, fragte Martina scharf. »Ich glaube, du solltest von Benito keine Wunder erwarten. Er dürfte so ungefähr der letzte Mensch sein, den Josefa im Augenblick sehen will.«
Katharina schüttelte den Kopf. »Darin irrst du dich. Für Josefa ist Benito noch immer heller als die Sonne, und so tief verletzt fühlt sie sich nur, weil sie überzeugt ist, in seinem Leben keinen Platz zu haben. Ich wollte, dass die beiden ihre Chance bekommen. Ich bin sicher, sie wird sich beruhigen, wenn er ihr beweist, dass er genauso ihr Vater ist wie der von Anavera und Vicente.«
»Das kann er nicht«, sagte Martina.
»Und warum nicht?«
»Weil er nicht genauso ihr Vater ist«, hielt Martina unverblümt fest. »Schaust du dir deine Familie manchmal an, mein Schatz? Den hinreißenden Aztekensohn, den du geheiratet hast, die zwei allerliebsten Äpfel, die nicht weit vom Stamm fallen, und das ätherische goldblonde Wesen, das aussieht, als hättet ihr es irgendwo gestohlen? Darüber zu schweigen macht es nicht besser, Kathi. Ihr tut so, als fiele euch dieser Unterschied nicht auf, und das ist ehrenwert, aber er fällt Josefa auf. Du magst hundertmal behaupten, sie schlüge nach deiner Seite, aber auch dein Haar war einmal schwarz wie die Nacht, und ihre meergrünen Nixenaugen hat deine Tochter nicht von dir. Ist es verwunderlich, dass Josefa sich wie ein Fremdkörper fühlt?«
»Aber das ist sie nicht!«, begehrte Katharina auf. »Glaub mir, wenn Benito überhaupt eins der Kinder mehr als die anderen liebt, dann ist es Josefa.«
»Das glaube ich dir unbesehen«, erwiderte Martina trocken. »Aber Josefa wird es ihm nicht glauben, solange er ihr nicht als der begegnet, der er ist. Er darf ihren leiblichen Vater nicht länger zum Tabu erklären, nur weil sein Stolz es noch immer nicht aushält, dass die Liebe seines Lebens einmal einen anderen liebte.«
Unter den Worten zog Katharinas Herz sich zusammen. Es tat so weh, dass ihr ein Laut
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