Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
Guerillakrieg zu ziehen und mit vierundzwanzig Jahren elend zu verrecken. Seine Mutter hatte ihm fünf Jahre lang nicht verziehen, und Benito verzieh sich nie. Wie konnte er jetzt dem jungen Miguel, seinem Patensohn, der sich auf ihn verließ, seine Hilfe entziehen? Dass nach Yucatán transportierte Häftlinge wie die Fliegen starben, war in der Stadt ein offenes Geheimnis.
Doch auf der anderen Seite – wie konnte er das Leben eines Einzelnen, den er liebte, schützen und ungezählte Massen dafür opfern? Auch die Kinder, die in den Slums dahinsiechten, hatten Mütter, denen sie die Welt bedeuteten. Ein paar Herzschläge lang verfluchte er die Tatsache, dass es Menschen wie Jaime Sanchez Torrija geben musste. Er hatte den Mann vorhin im Empfangssaal gesehen, einen auffallend gutaussehenden Spanier, dem zweifellos die Zukunft zu Füßen lag. Was hatte dieser in Luxus gebettete Kronsohn davon, eine Behörde von Denunzianten zu leiten und Idealisten wie Miguel ans Messer zu liefern? Hatte sein Vater ihn aufgehetzt, musste Miguel leiden, weil Felipe Sanchez Torrija damit seinen Rivalen um die Herrschaft in Querétaro treffen wollte?
Gleich darauf ermahnte er sich, dass ihm Hass auf Sanchez Torrija nichts nützte. Hätte Don Jaime Miguel nicht gemeldet, so hätte es über kurz oder lang ein anderer getan. In dem Staat, nach dem Porfirio strebte, hatten freie Rede und freie Presse keinen Platz mehr. Aus dem strahlenden Kämpfer für ein liberales Mexiko war ein Mann geworden, der nach dem Geschmack der Macht auf seiner Zunge süchtig war.
»Ich warte, Benito«, ließ Porfirio ihn wissen. »Spanne mich nicht auf die Folter, sonst könnte meine Großherzigkeit recht schnell ein Ende finden.«
»Du weißt selbst, dass du um die Entwässerungsanlage nicht herumkommst«, erwiderte Benito und hoffte, dass er nicht so hilflos klang, wie er sich fühlte.
»Dann steht deine Entscheidung also fest? Wir werfen den Engländern einen Haufen Geld, das wir nicht haben, in den Rachen, und in zwei Jahren feiern wir mich als Helden der Menschheit. Und in der Zwischenzeit schicken wir den kleinen Nestbeschmutzer nach Yucatán, wo die Peitsche ihn lehren kann, was Arbeit heißt. Sei ehrlich, ihr Indios mögt von der Natur her Faulenzer sein, aber sobald eine Peitsche euch tüchtig eure abgestumpften Rücken und Hintern tätschelt, könnt ihr schuften wie Mulis. Was ist, wollen wir darauf nicht noch ein Gläschen trinken?«
»Zum Teufel, du kannst doch einen Mann nicht in eine Art von Sklaverei schicken, weil er die Wahrheit gesagt hat. Miguel Ximenes wird Vater, seine Familie braucht ihn.«
»Ach, wie reizend.« Porfirio verzog den Mund zu einem bösen Lächeln. »Und du, mein Hübscher, wirst Großväterchen? Gerade jetzt, wo ich schon befürchtete, die goldige Dolores de Vivero würde dich noch einmal zum Vater machen.«
Wenn du wüsstest, wie haarscharf du danebentriffst, durchfuhr es Benito, der sich mühsam einen Laut verbiss. »Lass die Kindereien«, sagte er. »Gib den Mann heraus, und du hast deine Ruhe vor mir.«
Porfirio stand auf, ging in die entlegene Ecke des Zimmers und lehnte sich gegen die Wand. »Warum verlegst du dich nicht aufs Betteln, Benito?«, fragte er und fixierte ihn.
»Würde das etwas nützen?«
»Es käme auf einen Versuch an.«
Benito seufzte. »Ich bitte dich, lass Miguel Ximenes gehen. Ich sorge dafür, dass er seine Tätigkeit bei El Siglo vorerst ruhen lässt und nach Hause zu seiner Familie fährt.«
»Um im wilden Querétaro den Aufstand zu proben?«
»Nein, zum Teufel! Um sein Kind zur Taufe zu tragen.«
Porfirio lächelte. »Macht ist das köstlichste Gesöff der Welt, hast du das wirklich nie gelernt? Sag noch einmal bitte, Benito. Sag: Bitte, mein verehrter Präsident.«
»Im Krieg hat mir einmal ein Coronel befohlen, vor ihm auf die Knie zu fallen«, erklärte Benito. »Wenn du das auch willst, kannst du es haben, auch wenn meine Knie mit den Jahren recht steif geworden sind. Zumindest ersparen wir uns dann diesen Zirkus, mein verehrter Präsident.«
»So weit würdest du tatsächlich gehen?« Der scharfe Zug um Porfirios Mundwinkel gab nach und wurde weich. »Ja, ja, im Krieg haben wir so manches getan, das wir nie für möglich gehalten hätten, nicht wahr? Ich werde es mir überlegen, mein Lieber, und als Lohn für deine Demut gebe ich dir mein Wort, dass dein Schützling zumindest vorerst keine Prügel bekommt. Frag mich morgen noch einmal, ob ich ihn laufenlasse, frag mich jeden
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