Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
entfuhr. »Ich halte es auch nicht aus«, sagte sie. »Und ich will nicht, dass Benito noch einmal daran rühren muss. Wäre es umgekehrt, Martina, hätte Benito jemals eine andere geliebt, ich hätte es nicht überlebt.«
»Das sagt sich so schnell«, bemerkte Martina. »Aber glaube einer Ärztin, wir überleben so einiges, das wir nicht für möglich halten.«
»Ich bin trotzdem heilfroh, dass Benito mir unser Leben lang treu war und ich diese Probe nie bestehen musste.«
Den Blick, den Martina ihr zuwarf, vermochte Katharina nicht zu deuten. »Du redest, als wäre euer Leben schon zu Ende«, sagte sie. »Aber wie auch immer, den Brief von Therese Gruber kannst du nicht in einer Schublade verwahren, bis er sich auf wundersame Weise darin auflöst. Schließen wir einen Pakt? Ich verspreche, ich halte Josefa gegenüber den Mund, und du versprichst, dass du dir schnellstmöglich überlegst, was du deswegen unternehmen willst. Einverstanden?«
Katharina nickte dankbar. »Ich will es nicht über Benitos Kopf hinweg entscheiden, aber ich spreche mit ihm, sobald er nach Hause kommt.«
»Schon mal erwogen zu schreiben, statt zu sprechen?«, schlug Martina vor. »Ihr zwei Turteltauben tauscht doch in einem fort Brieflein aus.«
»Ihm hängt so viel am Hals«, wich Katharina aus. »Ich will ihn jetzt nicht noch damit belasten. Wenn Miguel erst frei ist und Benito nach Hause kommt, wird es mir leichter fallen.« Dass Benito ihr seit Josefas Geburtstag nicht mehr geschrieben hatte, verschwieg sie. Es war noch nie vorgekommen. Sooft sie in ihrer Ehe getrennt gewesen waren, hatten sie einander jede Woche mindestens einen Brief geschickt. Die Lage in der Hauptstadt musste schwieriger sein, als sie hier in Querétaro ahnten.
»Tu, was du für richtig hältst, Liebes«, sagte Martina und wischte ihr noch einmal mit dem Zipfel der Überdecke über die Wange. »Wir hüten dir deine Josefa, so gut sich ein solcher Sack Flöhe eben hüten lässt. Und du gib acht auf deine Kaffeepflücker, deine Schulkinder und auf die arme Abelinda, die sich nach ihrem Miguel die Augen ausweint. Vor allem aber achte mir auf meine Schwiegertochter, die sich zwar tapfer hält, aber im Herzen auch weint und glaubt, sie sei an dieser ganzen Misere mit Josefa schuld. Deine Anavera ist ihr Gewicht in Gold wert wie dein Benito, weißt du das?«
»Ja«, antwortete Katharina stolz.
»Haltet euch fern von der Lanzenotter Sanchez Torrija«, fuhr Martina fort. »Solche Menschen sind nicht glücklich, solange sie nicht andere ins Unglück reißen können. Und wenn ihr zwei es gar nicht mehr aushaltet, setzt euch einfach in die famose Eisenbahn und kommt zu uns.«
»Brecht ihr denn jetzt auf?«, fragte Katharina verstört.
»Allerdings. Dein armer Sohn steht sich da draußen am Wagen die Beine in den Bauch.«
»Aber den Zug bekommt ihr doch nicht mehr!«
»Wir übernachten in der Stadt«, sagte Martina, küsste sie und erhob sich. »Es ist nicht gut, einen Abschied aufzuschieben, denn damit schiebt man auch das Wiedersehen auf.«
Zweiter Teil
Mexiko-Stadt
September 1888
»Meine kleine Herzogin, die mich anbetet,
Hat nicht die Lebensart einer großen Dame. […]
Meine kleine Herzogin hat keine Juwelen,
Aber so hübsch ist sie und so wunderschön.«
MANUEL GUTIÉRREZ NÁJERA
7
W ie die Macheten, die auf den Feldern ihrer Heimat durch den hohen Mais schlugen, erschien Josefa der Zug, der die Landschaft wie ein metallischer Blitz in zwei Hälften schnitt. Sie hatte diese Reise aus dem waldigen Bergland von Querétaro hinein in das hochgelegene Tal von Mexiko schon öfter unternommen, manchmal im Reisewagen ihrer Familie und manchmal mit der Bahn, doch so wie heute war es nie gewesen. Sie alle – der Vater, die Mutter, Anavera, Vicente und eine Anzahl weiterer Verwandter – hatten sich auf engstem Raum zusammengedrängt, gelacht, geschwatzt oder Karten gespielt, und ein wenig war es, als wären sie gar nicht weg von zu Hause, weil sie El Manzanal im Kleinen mitgenommen hatten.
Heute nahm sie es nicht mit, sondern ließ es hinter sich zurück. Sie und Martina saßen im Abteil unter Fremden, und statt zu den Essenszeiten einen von Carmen bis obenhin vollgestopften Picknickkorb auszupacken, gingen sie in den Speisewagen, der ein schlauchlanges Restaurant auf Rädern war. Es machte Spaß, mit Martina zusammen zu sein. Sie war immer gut aufgelegt, bedachte die Mitreisenden mit komischen Kommentaren und behandelte Josefa wie eine Erwachsene.
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