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Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Lobato
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Artikel klangen dagegen wie Aufsätze von Schulmädchen.
    »Obendrein ist er auch noch der Sohn der Laus, die Don Porfirio deinem Vater in den Pelz gesetzt hat«, fuhr Felix fort.
    »Felipe Sanchez Torrija«, spuckte Tomás Silbe um Silbe heraus. »Bisher erging es den Indio-Bauern in Querétaro besser als im Rest des Landes, aber dieser Verbrecher wird alles tun, um dem ein Ende zu machen. Auf El Manzanal war ich kurz davor, ihm den Hals umzudrehen. Und wenn das überhaupt möglich ist, dann ist der Sohn noch widerlicher.«
    »Wollen wir nicht über etwas Schöneres sprechen?«, wagte Onkel Stefan sich schüchtern vor. »Es ist Josefas erster Abend in der Stadt, und wir listen ihr alle Scheußlichkeiten auf, die man sich denken kann.«
    »Zumindest haben wir ihr deine Käse-Cantina erspart, Muchacho.« Felix boxte ihn gegen den Arm und lachte. »Aber recht hast du. Besprechen wir lieber, wie wir Josefa morgen den Unabhängigkeitstag ihres Lebens bereiten. Du bist wohl kaum abkömmlich, habe ich recht, Benito? Vermutlich belegt dich wieder einmal von früh bis spät dein Präsident mit Beschlag.«
    Der Vater nickte bedauernd. »Es tut mir leid, Huitzilli. Ich wünschte, ich könnte morgen mit dir feiern.«
    »Das macht nichts«, rief Josefa eilig. Sie war entschlossen, Verständnis für seine Arbeit zu zeigen und sich nie wieder wie ein trotziges Kind zu betragen. »Ich werde schon zurechtkommen, und das, was du tust, ist wichtig für Mexiko.«
    »Deine Großmutter, Josephine, Felice und ich würden dich gern einladen, den Feiertag mit uns zu verbringen«, murmelte Onkel Stefan. »Aber ich glaube kaum, dass das sonderlich unterhaltsam für dich wäre.«
    »Damit dürftest du recht haben, alter Junge.« Felix grinste ihm zu. »Ich schlage vor, Josefa kommt euch ein andermal besuchen, wenn sie sich an der Stadt ein bisschen satt getrunken hat und beschauliche Ruhe zu schätzen weiß. Morgen aber nehmen wir sie mit auf den Zócalo, wo das Leben tobt.«
    »Danke«, sagte ihr Vater leise. »Abends gibt es einen Ball im Casino Español. Wenn ihr wollt, besorge ich eine Einladung für euch alle.«
    »Präsidentenball im Español.« Martina sog Luft ein und legte den Arm um Josefa. »Das ist ein Einstand, wie er der Prinzessin von El Manzanal gebührt.«
    »Aber mein Kleid ist nicht gebügelt!«, platzte Josefa heraus.
    Tomás lachte, die Übrigen lachten mit, und Martina sagte: »Wenn wir sonst keine Probleme haben – ich glaube, diesem können wir abhelfen.« Josefa kam sich noch immer töricht vor, aber was machte das aus? Die anderen mochten sie trotzdem, und morgen nahm ihr Vater sie mit auf einen Ball.
    »Ich habe noch eines, dem du abhelfen könntest«, sagte der Vater. »Darf mein kleiner Vogel heute Nacht in deinem Nest schlafen? Bei mir ist es eng und unbequem, und für die Wohnung in der Calle Sebastian müssen wir erst eine Lösung finden.«
    »Eine Anstandsdame, meinst du wohl!« Martina lachte ihr dunkles Lachen und stieß den Vater in die Seite. »Selbstverständlich wohnt Josefa bei uns, solange sie das möchte. Und jetzt, was meint ihr, Compañeros – hören wir uns an, wie unser Präsident auf dem Zócalo die Feiern eröffnet, oder erklären wir diesen himmlischen Tag zur Nacht? Ich für mein Teil kann auf Don Porfirios Geheuchel verzichten, und unser Gobernador sieht aus, als schliefe er im Sitzen ein.«
    »Es tut mir leid«, murmelte der Vater noch einmal und sandte Josefa einen schuldbewussten Blick. »Diese elende Sitzung im Innenministerium hat mich völlig geschafft.«
    »Das ist doch nicht deine Schuld«, rief Josefa, die die Schwere der Müdigkeit auf einmal selbst verspürte, und schlang ihm die Arme um den Hals. »Geh und leg dich schlafen, Tahtli – wir sehen uns ja morgen auf dem Ball!«

8
    W enn Josefa später an ihre Ankunft in der Hauptstadt zurückdachte, erschien sie ihr wie ein Augenblick, in dem die Zeit innehielt, ehe sie wahrhaftig Fahrt aufnahm. Ihr war, als hätte sie an jenem Abend schon wissen müssen, dass ihr Leben im Begriff stand, sich von Grund auf zu ändern, doch sie hatte gar nichts gewusst, nicht einmal etwas geahnt.
    In Martinas Palais erhielt sie ein Schlafzimmer, in das drei Räume ihres Elternhauses gepasst hätten, und als sie in der Frühe ans Fenster des französischen Balkons lief, sah sie die Morgennebel über den Palmen, den Eukalyptusbäumen und Blütenstauden der Alameda verschwinden. Das erwachende Häusermeer lag in einem Licht, das ihr klar wie Glas

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