Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
und leider kenne ich etliche, die diesem Ruf alle Ehre machen, aber mir ist solches Denken fremd. Ich bin ein Mann wie Dein Vater, einer, der das eine Mädchen gefunden hat, das ihm alles schenkt. Wie könnte ich da noch nach anderen schauen? Ich wäre nicht nur ein Dummkopf, sondern ein Verräter. Übrigens habe ich Deinen Vater gebeten, uns keine lange Verlobungszeit aufzuerlegen, sondern die Hochzeit für den Frühling festzusetzen. Er hat gesagt, darüber muss die Familie entscheiden, aber ich habe doch gesehen, dass er sich freut, und er kann Freude derzeit gut gebrauchen.
Deinem Vater setzt die Sache mit Miguel so sehr zu wie mir, und hinzu kommt all das Elend, gegen das er kämpft wie gegen Windmühlenflügel. Er arbeitet sich krumm, wir bekommen ihn kaum noch zu Gesicht, und wenn, dann sieht er krank und todmüde aus. Meine Mutter sagt, Don Porfirio hat seinen Spaß daran, ihm zuzusetzen, und ich fürchte, damit trifft sie den Nagel auf den Kopf. Es wird ihm guttun, Miguel endlich frei zu wissen, nach Hause zu fahren und unsere Hochzeit zu planen. Und mir erst, mein Lieblingstierchen, und mir erst!
Um Dich für die fehlenden Zeichnungen zu entschädigen, lege ich einen kleinen Stich bei, den ein Hausgast gemacht hat. Ist die Karikatur nicht genial? Sie zeigt den verfluchten Lagartijo, von dem ich Dir erzählt habe, Jaime Sanchez Torrija, dem Miguel und so viele andere ihr Elend zu verdanken haben und den ich wirklich erwürgen würde, wenn ich Dir nicht versprochen hätte, es bleiben zu lassen. Sie nennen ihn hier den schönen Andalusier, aber heimlich auch den prächtigen Truthahn der Nacht. So wie Du ihn auf dem Stich siehst, musst Du ihn Dir vorstellen. Ein hübscher Totenschädel mit einem hackenden Schnabel, der gar nicht merkt, dass ihm vor Kälte sein Fleisch und sein Blut längst abgefroren sind und er nur noch als kahler Knochen in seinem prächtigen Anzug hängt. José Posada, der Künstler, ist übrigens ein famoser Kerl. Er ist ein früherer Schüler von Vater, der hergekommen ist, weil ihm in seiner Heimatstadt Leon Haus und Kunsthandlung überflutet sind und er völlig mittellos dasteht. Du musst ihn einmal kennenlernen, und von seinen Karikaturen will ich Dir auch mehr zeigen, wenn es nicht mehr so gefährlich ist.
Jetzt habe ich Dir schon so viel geschrieben und noch nichts von Deiner Schwester erzählt, obwohl ich weiß, wie ungeduldig Du darauf wartest. Es ist ein bisschen schwierig. Versteh mich nicht falsch. Ich habe Josefa lieb, und wenn wir verheiratet sind, wird sie mir noch mehr eine Schwester sein, als sie es jetzt schon ist. Sie hat bis jetzt bei uns gewohnt, und es war nett, sie hier zu haben. Ich denke, es gefällt ihr in der großen Stadt, sie lebt sich gut ein, und ihre Wohnung, in die sie jetzt einzieht, ist ein Schmuckstück. Dir ist sie gewiss nicht mehr böse – warum auch? Wer könnte meinem Armadillo denn böse sein?
Aber es gibt eben auch etwas, das mir Sorgen macht, und immer öfter denke ich, es wäre besser, wenn sie bald nach El Manzanal zurückginge. Erinnerst Du Dich, dass ich geschrieben habe, Miguel sei weltfremd? Nun, Josefa ist es auch, viel mehr als Du in Deinem verwunschenen Apfelgarten, und das ist gefährlich, denn Mexiko-Stadt ist kein Pflaster, das einen falschen Schritt verzeiht. Aber von diesen Dingen will ich Dir gar nichts schreiben, weil das Ganze sicher im Sande verläuft und wir uns dann alle in Deinem Apfelgarten wiedersehen. Deshalb mache ich jetzt ein Ende und küsse meinen Armadillo heiß und feucht, damit er es spürt durch seine Armadillo-Haut. Pass auf Dich auf, mein liebstes Tierchen, und behalte mich lieb. Grüße meine süße Schwiegermutter und Vicente, Enrique, Elena, Abelinda und alle und jeden in unserem Paradies, und des Abends bete, dass Gott Deinen Tomás gesund erhalten und Miguel befreien und Jaime Sanchez Torrija den Typhus schicken möge. Und die Cholera noch dazu, damit das Reptil nicht etwa davonkommt. In viel zu viel Liebe, Dein sich nach Dir verzehrender Bräutigam. Tomás.«
Anavera legte die Bogen des Briefes auf ihr Gesicht, ehe sie sie wieder in den Umschlag steckte. Sie bildete sich ein, den Duft von Martinas Palais wahrzunehmen, die Blüten der Zitrusbäume auf ihrem Dachgarten, und überließ sich für einen Augenblick der Sehnsucht. Wie schön wäre es, wenn sie zum Ende der Kaffeeernte alle wieder hier zusammenkämen. Drei Monate dauerte es, die Kirschen des Arabica-Kaffees zu pflücken, weil an keinem Zweig alle
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