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Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Lobato
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dass sie der Gruberin unter die Augen treten konnte. Über Mittag würden sich sämtliche Passagiere der ersten Klasse in den Speisesaal begeben, um sich von scharwenzelnden Kellnern verwöhnen zu lassen – das war die Gelegenheit, die Franzi beim Schopf packen würde.
    Reisenden aus dem Zwischendeck war das Betreten der ersten Klasse verboten, aber Franzi konnte sich lautlos wie eine Katze bewegen, und der Steward pfiff vor sich hin und gab auf nichts und niemanden acht. Ohne Schwierigkeiten gelang es ihr, sich durch den Gang in eine Nische zu schleichen, in der ein Servierwagen abgestellt war. Sie quetschte sich dahinter und wartete ab, bis eine Dame mit Pelzstola ihre Kabine verließ, ohne hinter sich abzuschließen. Auf Zehenspitzen drückte sie sich an der Wand entlang, zog die Tür mit der Messingklinke auf und schlüpfte in die Kabine.
    Die Pracht verschlug ihr den Atem. Der kleine Raum war ein schwimmender Miniaturpalast. All der Marmor, das rötlich schimmernde Holz und das Silber kündeten von einem Leben, das für sie keine Wirklichkeit besaß. Franzi war keine Phantastin. Dass nichts von alledem ihr je bestimmt sein würde, wusste sie, und ein einfaches trockenes Haus, das sich sauber halten und fest abschließen ließ, stellte für sie den Gipfel des Glücks dar. Für ein paar Augenblicke aber gab sie sich dem Zauber hin, warf sich auf das weiche Bett, fächelte sich mit dem Seidenfächer Luft zu und spielte Prinzessin, wie sie als Kind nie gespielt hatte. Dann beeilte sie sich. Aus dem Krug schüttete sie nach Rosen duftendes Wasser in die Waschschüssel, bediente sich an der Seifenschale und wusch alles an sich so gründlich wie möglich, auch ihren Rock und ihr Haar.
    Die silbernen Bürsten der Dame zu benutzen wagte sie nicht, doch sie streichelte andächtig über ihre Rücken. Mit dem Ärmel rieb sie den Waschtisch trocken und zupfte die Überdecke glatt, dann wandte sie sich zum Gehen. Stehlen wollte sie gewiss nichts. Im letzten Moment aber fiel ihr Blick auf das Buch. Die verschnörkelte Schrift war schwer zu entziffern, nur ein Wort sprang ihr ins Auge: Spanisch. Das war ihre größte Sorge gewesen, ehe die Krankheit alle Sorgen ausgelöscht hatte. In Mexiko sprachen die Leute Spanisch, und wenn sie kein Wort davon beherrschte, würde sie sich in der Agentur nicht verständigen können. Ehe sie nachdenken konnte, hatte sie das Buch unter ihre Bluse gestopft und flüchtete aus der Kabine.
    Erst am Abend kam sie dazu, ihren Schatz genauer zu untersuchen. »Ehlers’ Spanischer Sprachführer« lauteten die Worte auf dem Einband – genau das, was sie brauchte. Der Gruberin würde sie vorerst nicht fehlen, die siechte auf der Krankenstation vor sich hin, und Franzi blieben etliche Stunden am Tag, um den Sprachführer zu studieren. Sie setzte sich achtern zwischen die Rettungsboote, wohin die Matrosen zum Austreten gingen, und zerbrach sich über den Seiten des Buchs den Kopf.
    Eine fremde Sprache zu lernen, wenn einem schon die eigene vor den Augen zu sinnlosen Zeichen zerrann, war so anstrengend, dass ihr der Schädel bis zum Platzen weh tat. Mehrmals feuerte sie das Buch in ihrer Wut gegen die Schiffswand. Dann aber lernte sie Pablo kennen, der auf einer Leiter an der Reling hinaufstieg, um ins Meer zu scheißen. Franzi duckte sich hinter eine Kiste, aber er hatte sie bereits entdeckt und sprang von der Leiter, ohne sich die Hosen hochzuziehen. Ehe sie flüchten konnte, hatte er sie gepackt und an sich gedrückt. Sie schlug ihn mit den Fäusten, versuchte ihm das Knie zwischen die Beine zu rammen, musste jedoch erkennen, dass ihr Fliegengewicht gegen den stämmigen Burschen nichts ausrichten konnte. Also sackte sie in sich zusammen, schloss die Augen und hoffte, das Unvermeidliche werde schnell gehen. Es war schließlich nicht das erste Mal, und in Mexiko würde all dies vorbei sein. Wenigstens war ihr Magen zu leer, um sich zu übergeben.
    Der Kerl ließ sie los. Verwundert wies er erst auf Franzi, dann auf sich und stellte eine Frage in der unverständlichen Sprache. »Drecksack«, herrschte Franzi ihn an. Er lachte und bückte sich nach dem Buch, das ihr aus der Hand gefallen war. Dabei bemerkte er, dass seine Hosen ihm noch immer in den Kniekehlen schlackerten. Franzi hatte es auch bemerkt, schwang ein Bein aus und trat ihm in den leuchtend weißen Hintern. Er drehte sich um, grinste und zog die Hosen hoch. Dann blätterte er in dem Buch, wies schließlich auf eine Tabelle mit Wörtern und

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