Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Lobato
Vom Netzwerk:
aber traf sie die Wolke des Geruchs. Es stank, als würde kistenweise Fisch in der drückenden Hitze verrotten. Auf einmal kehrte die Schwäche zurück, die grelle Sonne stach ihr in die Augen, und ihr Atem ging in schweren Stößen. Der Hafen bestand aus einer Reihe von Hütten und Verkaufsständen, zwischen denen es vor Mensch und Tier wimmelte. Wie sollte sie in diesem Getümmel jemanden finden, der ihr weiterhalf? Ihre Kehle wurde eng, und vor Hunger zog ihr Magen sich zusammen.
    Franzi war immer allein gewesen. Sie hatte weder Eltern, die für sie gesorgt hätten, noch Freunde, die sich um ihr Schicksal scherten. Aber daheim, wo jeder jeden kannte, war man anders allein als in einem Strom fremder Menschen, die nicht einmal wie Artgenossen wirkten und auch nicht so sprachen. Sie wünschte, jemand käme und würde ihr auf die Schulter tippen, irgendwer, dem sie nicht völlig gleichgültig war und der am besten ein Stück Brot bei sich hatte. Der Fischgestank war ekelerregend, aber zugleich schürte er den Hunger.
    Jemand kam und tippte ihr auf die Schulter. Franzi fuhr herum. Die Frau, die hinter ihr stand, war größer als sie und schleppte schwer an einem Koffer. Die Gruberin. »Wie kannst du mich denn alleine lassen, Franziska?«, fragte sie. »Ich kenne hier keinen einzigen Menschen.«
    »Und ich vielleicht?«, entfuhr es Franzi in ihrem Schrecken.
    »Nein, du auch nicht«, erwiderte die Gruberin. »Weshalb es das Beste sein wird, dass wir zusammenbleiben, bis wir Valentins Sohn gefunden haben. Danach magst du gehen, wohin in diesem Höllenland der Pfeffer wächst.«

13
    I n dem Kasino über dem Elysian Tivoli verspielte Josefa ein Vermögen. Die Bank hatte bereits geschlossen, aber der Tischcroupier in seinem Frack aus weinrotem Samt erlaubte ihr, Schecks auszuschreiben, so viel sie wollte. Im Tausch händigte er ihr die farbigen Jetons aus, die sie mit lässiger Hand auf das Tapis warf und liegen ließ, wo immer sie hinfielen. Dabei legte sie den Kopf in den Nacken, wie sie es sich bei anderen Damen abgeschaut hatte, und lachte, als würfe sie mit Kieselsteinen. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass sie Jaime gefiel, und das berauschte sie mehr als der Champagner, der ihr ständig nachgeschenkt wurde, und mehr als das melodische Geklimper der Elfenbeinkugel, die im Rouletterad rollte und rollte.
    Sie gewann kein einziges Mal. Bei jedem Berg Jetons, den der Saladier einstrich, lachte sie auf. So, wie sie jetzt war, so wollte sie sein – nicht langweilig, kindisch und provinziell, sondern erwachsen, verführerisch und ohne eine Sorge auf der Welt. Vom Zócalo hinüber drang der Glockenschlag der Kathedrale zur Mitternacht. Der Croupier kündigte das letzte Spiel an. Josefa bat ihn, ihr einen hohen Scheck einzulösen, und warf alle Jetons auf die Null. Alle sollten es sehen – sie war eine reiche, geheimnisvolle Schönheit, und Geld war null und nichtig für sie. Während die Elfenbeinkugel rollte, neigte sie sich Jaime zu und ließ ihr Glas gegen seines klirren. Ein wenig lächelte er. Seine schönen Augen glitzerten wie der Champagner.
    Auf der Einundzwanzig kam die Kugel zum Stillstand. Der Saladier strich Josefas Jetons ein, und Josefa warf lachend den Kopf in den Nacken, bis die Härchen, die sich aus der Turmfrisur lösten, sie kitzelten. Ein Herr in ihres Vaters Alter, der nur ab und an ein Spiel gemacht hatte, trat auf sie zu, nahm ihre Hand und küsste sie. »Ihre Begleiterin ist voller Liebreiz«, sagte er zu Jaime. »Ich hoffe, Sie bringen sie uns bald wieder, Señor.«
    »Bedanken Sie sich«, murmelte Jaime ihr zu, und als sie nicht reagierte, sagte er zu dem Herrn: »Die Dame ist schüchtern. Sie lässt Ihnen für das Kompliment danken.«
    Josefa spürte brennende Hitze in den Wangen, aber der Herr sandte ihr ein geradezu liebevolles Lächeln, ehe er sich abwandte. Jaime ließ sich ihre Mantilla und sein Cape bringen und führte sie nach einem knappen Gruß in die Runde aus dem Saal. In der Tür setzte er seinen Hut auf. Übermütig vor Glück und Champagner riss Josefa ihm den eleganten Zylinder vom Kopf.
    Er wandte sich ihr zu, sein schönes Gesicht eine einzige Frage.
    »Verzeihung«, sagte Josefa verlegen, hielt an dem Hut aber fest. »Ich sehe Ihr Haar so gern an.«
    Er zuckte eine Braue wie andere die Schultern, führte sie die Treppe hinunter und hinaus auf die Straße. Jetzt war Mexiko-Stadt, das nie zu schlafen schien, still. In der glasklaren Schwärze funkelten die Sterne wie am Himmel

Weitere Kostenlose Bücher