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Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Lobato
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wie vom Garten Eden. Nur dass Eden Sündern wie Franzi verschlossen blieb, während in die Neue Welt jeder durfte, der eine Schiffspassage ergattern konnte. Sie brauchten dort drüben Leute aus Europa, die anpacken konnten und Mut und Pioniergeist besaßen. Um sie zu locken, gab man ihnen ein Stück Land, wie es hier nur Reiche besaßen. Gutes Land. »Wenn du in der Neuen Welt hinspuckst, schlägt die Spucke Wurzeln und trägt Früchte«, hatte Matti, der Bettelfürst, gesagt, der sich auskannte.
    Natürlich gaben sie das Land nur Männern, nicht Mädchen, aber Mädchen konnten Männer, die Land bekamen, heiraten. Man fuhr einfach hinüber und schrieb sich vor Ort bei einer Agentur ein, die einem einen passenden Mann verschaffte. Frauen brauchten die Männer alle. Die Regierung half ihnen, sich auf ihr Land ein Haus zu bauen, und in ein Haus gehörte nun einmal eine Frau.
    Das Letzte, was Franzi wollte, war ein Mann. Aber ein Haus wollte sie, sie hatte nie etwas sehnlicher gewollt als ein Haus, in dem sie sicher war. Wenn man in der Neuen Welt mit einem Mann ein Haus bekam, dann würde sie den Mann ertragen. Sie konnte schließlich Wein trinken, bevor er im Dunkeln unter ihre Decke kroch. Die Reichen – so wie die Gruberin – tranken immer Wein, sooft das Leben ihnen sauer aufstieß, und vielleicht hatte sie Glück und der Mann starb bald. Dann wäre sie allein und geborgen in ihrem Haus.
    Das Tal, in dem sie hauste, war eng, und die Neue Welt war weit. So weit, sagte Matti, dass einem, wenn man versuchte zum Horizont zu schauen, der Blick unterwegs verlorenging. In der Neuen Welt wusste niemand, wer Franzi und schon gar nicht wer ihre Mutter war. Sie könnte sich neu erfinden. Die Nase rümpfen, die Brauen lupfen und »o mein Gott, o mein Gott« stöhnen, als gäbe es noch etwas, das sie erschüttern konnte.
    Die Länder in der Neuen Welt hatten Namen wie Liebeslieder. Argentinien. Guatemala. Aber der schönste Name war Mexiko.
    »Ich habe dir gesagt, pack dein Gelump und geh.« Die Hand der Gruberin landete klatschend auf ihrer Wange. Die Wucht des Schlags trieb ihr die Tränen in die Augen.
    »Ich bitt um Vergebung«, rang sie sich ab. »Wenn Sie nach Mexiko fahren, werden Sie doch ein Mädchen brauchen. Eine vornehme Dame wie Sie kann doch nicht ohne Personal auf Reisen gehen, und ich verlang nicht mehr als die Schiffspassage und ein bisschen Grütze und Brot.«
    Einen Tag lang zierte sich die Gruberin, dann nahm sie ihr Angebot an. Franzi begann von Mexiko zu träumen, wie sie in ihrem Leben nicht geträumt hatte. Es würde nie Winter sein in Mexiko. Nie so kalt wie in dem Februar, als sie sich einen Finger abgefroren hatte, und nie so dunkel wie in den Nächten im Schatten der Berge. Was immer es sie kosten mochte, sie würde in Mexiko ihr Glück machen. Den Kopf erhoben tragen und nie mehr ein Schrillen im Ohr hören, weil jemand sein eigenes Elend an ihr ausließ.
    Es folgten schlimme Tage, an denen sie fürchten musste, die Reise würde abgesagt. »Ich bin arm wie eine Bettlerin, der Gustl hat mir keinen Groschen gelassen«, hörte sie die Gruberin stöhnen. Franzi hätte ihr sagen können, dass eine Bettlerin keine Seide am Leib trug, aus keinem handbemalten Porzellantässchen importierten Kaffee schlürfte und nicht mit Klunkern behängt war, doch wie es aussah, kam die Gruberin selbst darauf. Sie begann die Tässchen, die Klunker und einen guten Teil der Seide zu verkaufen, um das Geld für die Schiffspassagen aufzutreiben. »Und wenn es das Letzte ist, was ich tue, nach Mexiko werde ich fahren«, sagte sie. »Mein Bruder hat einen Sohn in diesem Höllenland. Die Wilden dort haben ihn ermordet und wie eine Ratte verscharrt, aber dass sie ihm auch noch den Sohn stehlen, lasse ich nicht zu. Mein Neffe wird heimkommen und sein Erbe antreten.«
    Was für ein Erbe es denn noch anzutreten gebe, hätte Franzi fragen können, doch sie hielt den Mund. Die Gruberin fing an Briefe zu schreiben. Wie sich zeigte, wusste sie nicht einmal, wo dieser Sohn von ihrem Bruder lebte, und offenbar glaubte sie, Mexiko sei so überschaubar wie das Eisacktal. Franzi aber wusste, was Matti, der Bettlerfürst, ihr erzählt hatte: Mexiko war weit. Zwei, die sich dort verloren, fanden sich niemals wieder, und die Gruberin suchte keine Stecknadel im Heuhaufen, sondern einen Tropfen im Ozean.
    Sie wandte sich an alle möglichen Leute, die damals mit ihrem Bruder in Mexiko gewesen waren. Mit jeder abschlägigen Antwort sank ihr Mut.

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