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Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Lobato
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löste. »Nein, und es ist mir egal.«
    Er nahm eine Strähne ihres Haars in die Hände und betrachtete sie. »Nicht zu glauben.«
    »Was?«
    »Du«, sagte er. »Du und der Mann, der dich gezeugt hat.« Mit einem Schlag schien er wie ausgewechselt und meilenweit von ihr entfernt. Er ließ ihr Haar los und ging ein paar Schritte voran. Die Gasse, in die sie inzwischen eingebogen waren, war schmal, holprig gepflastert und nur von einer einzigen Laterne beleuchtet. »Dein Vater hat einen blonden Engel zur Tochter bekommen, weil er so ein guter Mensch ist, was?« Er lachte. »All das Geld, das getaugt hätte, um aus diesem Rattennest eine Hauptstadt zu machen, wirft er den Tagedieben in den Slums hin, damit sie mit ihren halbnackten Hintern nicht länger im Wasser sitzen.«
    Wie konnte ein Mensch, der so schön war und eine so herrliche Stimme hatte, so erfüllt von Hass sprechen? Josefa griff nach seinem Arm und schmiegte sich an ihn, um ihn zu sich zurückzuholen. »Sprichst du von dem Entwässerungssystem, Jaime? Das ist ein wunderbares Projekt. Ich bin sicher, es wird dich überzeugen, wenn es erst einmal fertig ist. Es wird Leben retten, unzählige Leben von Kindern, die Jahr für Jahr in der Regenzeit sterben, weil sie in den feuchten Hütten todkrank werden …«
    »Aha.« In der Dunkelheit traf sie sein Blick. »Und wer will das Leben dieser Bälger retten, verrätst du mir das auch? Wem nützt es, wenn immer mehr davon überleben, wo ihre Eltern sich ohnehin wie die Ratten vermehren?« Er machte sich frei und ging weiter. Vor der Häuserecke aber erstarrte er mitten im Schritt. Josefa folgte ihm und wäre um ein Haar zurückgewichen. An der dunkel verputzten Mauer prangte ein Gemälde, dessen frisch aufgetragene Farben grell in der Finsternis glänzten. Das Bild war so scheußlich wie die Worte, die er in die Nacht hinausgestoßen hatte. Es zeigte Cipactli, das Ungeheuer, das die Erde zu verschlingen drohte, ehe Quetzalcoatl, der gefiederte Schlangengott, es tötete, um seine Geschöpfe zu retten. Sie kannte die Geschichte aus den Erzählungen ihres Vaters. Das Ungeheuer, in der Gestalt eines riesenhaften Reptils, war so gierig, dass jedes seiner Gliedmaßen ein eigenes Maul mit Reihen messerscharfer Zähne besaß.
    Als Kind hatte sie sich vor dem Monster Cipactli gefürchtet, und um sie zu trösten, hatte ihr Vater ihr erzählt, wie Quetzalcoatl, der zärtliche Gott, der mit dem Wind den Regen brachte und den Morgenstern im Herzen trug, ihm den Garaus machte, weil er die Erde liebte.
    Auf dem Wandbild gab es keinen liebevollen Schöpfergott, nur ein grauenerregendes Monstrum, das mit all seinen Mäulern Menschen verschlang. Die Menschen hielten Papiere in die Höhe, um sie vor den Zähnen des Monsters zu retten. Aber ihr verzweifelter Kampf war vergebens. Cipactli verschlang das leuchtende Weiß, auf dem »El Siglo XIX« und »Verfassung von Mexiko« stand, wie die Menschen selbst. Das Schlimmste aber war das Gesicht des Monsters. Es war überzeichnet und ins Hässliche verzerrt, und doch war es unverkennbar Jaimes Gesicht.
    Er war bleich geworden. Unter der straff gespannten Haut seiner Wange zuckte ein Muskel. Als Josefa ihn dort berührte, wandte er sich ab. »Der Geist des Pinsels«, sagte er eisig. »Was für ein Künstler.«
    Josefa wurde kalt. Beim Klang seiner Worte musste sie an die Bilder in Martinas Sala denken. Sie waren in denselben leuchtenden Farben, mit denselben gestochen scharfen Linien gemalt. »Komm doch weiter«, murmelte sie und griff nach seiner Hand. »Lass nicht zu, dass irgendein Schmierer uns unsere Nacht verdirbt.«
    »Weiter?«, fragte er und entzog sich, als hätte sie etwas ganz und gar Widersinniges gesagt. »O nein, mein Engelchen, ich komme nicht weiter, nicht jetzt und die ganze Nacht nicht, die angeblich unser ist. Diesmal wird dieser Pinselspuk nicht wieder verschwinden, sobald ein Ordnungshüter sich bequemt, aus seinem Tiefschlaf zu schrecken. Diesmal werde nämlich ich mich nicht von der Stelle rühren, bis jemand sich zeigt.«
    »Du willst warten, bis ein Polizist kommt?« Angst beschlich Josefa, kroch mit der Kälte ihren Rücken hinauf.
    »Es kann sich nur um Stunden handeln.« Wieder lachte er sein hässliches Lachen. »Angeblich hockt ja ein Polizist an jeder Straßenecke, und angeblich reicht das völlig aus, so dass man das Geld für ein größeres Aufgebot den Indios in ihre Sickergruben werfen kann.«
    Jedes Wort war ein Schlag. Was war mit dem Mann geschehen,

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