Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
Kerl wildert, sind Querétaros Rosen Provinzpflanzen und ihm nicht mehr wert als Nesselminze. Er hat Frauen in Scharen verführt und weggeworfen. Weshalb glaubst du, dass ausgerechnet du die Ausnahme bist?«
Weil er mich liebt, wollte Josefa ihm ins Gesicht schleudern. Aber wie hätte sie ihm das glaubhaft machen sollen? Sie wusste ja selbst nicht, warum sie es so felsenfest glaubte. Jaime hatte nie ein Wort davon gesagt. Im Gegenteil, er hatte sie mehr als einmal verletzt und sie vor sich gewarnt. Tomás hatte recht, so zornig sie auch auf ihn war. Sie hatte sich benommen wie ein dummes Gör, das sich einem Mann an den Hals warf – und das, obwohl der Mann deutlich gemacht hatte, dass solches Verhalten ihn langweilte.
Weshalb sie es dennoch tat, wusste sie nicht. Nur, dass sie es wieder tun würde, dass sie gar nicht anders konnte. Vielleicht ist es eben so, wenn eine Frau und ein Mann einander lieben, dachte sie. Vielleicht erkennen sie einander im ersten Augenblick und sind sich fortan ihrer sicher, über jeden Zweifel erhaben, so dass sie sich getrost verschenken können. Auf ihrer Haut trockneten Tränen, ihr war kalt, und Müdigkeit überfiel sie. »Ich will nach Hause«, sagte sie zu Tomás. Morgen würde sie tun, was Jaime ihr gesagt hatte – zu ihm gehen und ihn wissen lassen, dass sie noch weitere Spiele der Nacht erproben wollte. Jedes Spiel. Solange er nur bei ihr war.
»Das kann ich mir denken. Aber nach Hause lasse ich dich jetzt nicht.« Grob stieß Tomás sie in den Rücken. »Nicht, bevor ich dir gezeigt habe, was für ein Leben dein Galan den Menschen zudenkt, die nicht seinen noblen Stammbaum vorzuweisen haben. Ich gebe rasch im Palais Bescheid, dass dem Prinzesschen nichts zugestoßen ist, damit die anderen sich endlich schlafen legen können. Dann aber sollst du sehen, was in dieser Stadt los ist – und was deinen Vater abhält, Tag und Nacht seinem Töchterlein zu Diensten zu sein.«
14
C oatls Tod setzte der Ausgelassenheit der Kaffeeernte ein Ende. Jeder bemühte sich zu helfen. Acalans Vater nahm die vaterlose Familie in sein Haus auf, Xavier und Anaveras Mutter sorgten dafür, dass sie ein weiteres Feld zur Pacht bekamen, und Vicente und Enrique schafften Holz herbei, um einen Schuppen hinter dem Haus zu einem zusätzlichen Schlafraum auszubauen. Kein noch so geschäftiges Bemühen aber konnte Coatls Frau und Kinder über den Verlust des Vaters und über die entsetzliche Sinnlosigkeit seines Todes hinwegtrösten. Der Dia de los Muertos, sonst ein vor Farbe schillernder Anlass, das Leben der Verstorbenen zu feiern, verlief in bedrückter Stille.
Anavera bemerkte, wie die Last, die ihre Nachbarn auf den Schultern trugen, auf sie und ihre Familie übergriff. Sie schrieb weiter an Tomás, freute sich über seine Antworten und versuchte Pläne für die Hochzeit zu schmieden, aber in allem lag ein schwerer, trauriger Ton. Ihm selbst schien es nicht anders zu gehen. Die liebevolle Heiterkeit seiner Briefe klang aufgesetzt, und über jedem Satz stand Miguel. Vielleicht sind wir einander so nah, dass der eine trotz der Entfernung spürt, wie dem anderen zumute ist, dachte Anavera. Sie vermisste ihn, doch als er seinen Besuch zum Kaffeepflückerfest absagte, war sie seltsam erleichtert. Es erschien ihr nicht recht, zu tanzen und ihren Liebsten in den Armen zu halten, während die eigenen Nachbarn ein Leid ertrugen, das sie sich nicht einmal ausmalen wollte.
Ihre Mutter hingegen nahm die Absage des Vaters schwer. »In all den Jahren ist das niemals vorgekommen«, sagte sie. »Einerlei, welcher Sturm in der Hauptstadt tobte, sobald der Kaffee eingebracht war, stand er vor der Tür. Und etwas wie das hier ist erst recht nie vorgekommen.« Sie reichte Anavera den Brief. Der schwere Bogen, sonst von Rand zu Rand in der steilen Schrift des Vaters beschrieben, enthielt nicht mehr als fünf Zeilen. Las man sonst seine Briefe, so bildete man sich ein, seine Stimme und das zärtliche Lachen darin zu hören. Las man hingegen die knappen Worte dieses Schreibens, so hörte man nichts.
»Und das ist der erste Brief, den er mir in zwei Monaten schreibt.« Das Lachen der Mutter klang nicht echt. »Josefa kommt gut zurecht – mehr hat er mir über unsere Tochter nicht zu berichten. Ginge es um einen anderen Mann, nicht um meinen, würde ich sagen, er hat sich in ein schönes junges Mädchen verliebt.«
»Du weißt, dass das Unsinn ist«, fuhr Anavera auf. »Er wird zu viel um die Ohren haben. Tomás
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