Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
ihn trockenführe, Donata? Ich glaube, ich wäre jetzt nicht gern allein.«
Donata ging mit ihr in den Hof und sah aus sicherem Abstand zu, wie sie den schweißnassen Hengst mit Strohbündeln abrieb und ihn dann langsam hin und her gehen ließ. Sein Fell dampfte.
»Abelindas Kind ist tot«, murmelte Anavera. Sie hatte es Donata und Ernesto bereits erzählt, doch sie musste es sich noch einmal sagen, um es zu erfassen. »Sie hat sich so sehr darauf gefreut. Ich bin nur ein dummes Mädchen, hat sie gesagt, und Miguel ist so klug. Endlich gibt es etwas, das ich ihm schenken kann.«
»Lass uns beten, dass sie nicht auch noch stirbt«, sagte Donata. »Und wer weiß, manchmal überlebt das zweite Kind, auch wenn das erste schon tot im Leib liegt.«
»Das zweite?«
»Du hast meinen Bauch gesehen, ehe Galatea zur Welt kam, nicht wahr?«, fragte Donata. »Und du hast den Bauch von Abelinda gesehen. Ja, es gibt Kinder, die größer sind als andere, aber meine Galatea war ein mächtiger Brocken, und dennoch war Abelinda gut und gern doppelt so rund. Wenn du mich fragst, ist sie mit Zwillingen gegangen. Vielleicht ist das erste ja gestorben, um das zweite zu retten.«
An dieser Hoffnung hielt sich Anavera fest. Donata kochte ihr Schokolade und gab Chili hinein, um sie zu Kräften zu bringen, und danach waren Pferd und Reiter so weit erholt, dass sie den Rückweg antreten konnten.
»Ich komme euch in den nächsten Tagen besuchen«, versprach Donata. »Gib allen Küsse von mir und sag ihnen, sie sollen guten Mutes bleiben.«
Anavera ließ den Rappen sein eigenes Tempo finden und verlor sich in schläfrigen Gedanken. Ist es nicht seltsam, dachte sie, dass keine Nacht je so kalt ist wie die Stunde vor Morgengrauen? Zwischen den Hufschlägen auf der federnden Erde konnte man um diese Zeit noch hören, wie die Welt in tiefen Zügen Atem holte. Im nächsten Augenblick rief das Geschrei der Vögel den Tag herbei und hieb Risse ins Dunkel. Aus den tausend Schattierungen von Grün stiegen Nebelschwaden wie Geister, die nachts durch Menschenträume tanzten, und um die Berggipfel, die als schützende Grenzpfeiler in den Himmel ragten, legte sich schmeichelnd das erste Gold.
Liebe zu dem Land, in dem sie lebte, überrollte Anavera und verlieh ihr Mut. Ja, sie machten eine harte Zeit durch, aber sie würden nicht daran zerbrechen, ihre Schar lag noch immer geborgen in der Hand einer liebenden Gottheit. Gewiss war es, wie Donata gesagt hatte: Abelinda hatte Zwillinge geboren, und ihr zweites Kind würde leben, um sie und Miguel über den Tod des ersten zu trösten. Miguel käme frei, und zu Weihnachten wären Josefa und der Vater zurück. Im Frühjahr würden sie und Tomás ihre Hochzeit feiern. An Coatls Familie und an Felipe Sanchez Torrija, der aus ihrem Tal nicht mehr zu vertreiben war, dachte sie nicht. Sie war zu müde dazu. In der Senke, getaucht in Morgensonne, stand der Brotfruchtbaum und darunter das weiße Haus, in dem sie geboren worden war.
Elena kam ihr mit den Nachrichten der Nacht entgegengelaufen. Donatas Mann war im buchstäblich letzten Moment eingetroffen und hatte das nahezu leblose Kind, einen kleinen Jungen, Abelinda aus dem Leib gezogen. »Ihr seid zu Helden geworden, du und dein spanischer Storch«, rief Elena übermütig und klopfte Aztatl den glänzenden Hals. »Die Nachtstürmer. Die Lebensretter.«
»Schön, dich lachen zu hören«, sagte Anavera. Seit Coatls Tod war Elena beständig mit bedrückter Miene herumgelaufen, versunken in düstere Gedanken. »Gibt es etwas Neues, hat Acalan etwa mit deinem Vater gesprochen?«
Elena schüttelte den Kopf. »Nein, es ist alles beim Alten, und um ehrlich zu sein, ich mache mir auch keine Hoffnung mehr. Acalan ist nun einmal kein Tomás. Ich werde damit leben müssen, dass ich einen Feigling liebe, und heute will ich nicht daran denken. Es hat etwas Magisches, wenn ein Kind geboren wird, oder nicht? Und es wurde ja höchste Zeit, dass es auf El Manzanal endlich wieder so ein Wunderwesen gibt.«
»Allerdings.« Anavera lachte. »Seit wir hier herumgestrolcht sind und uns die Knie aufgeschlagen haben, sind zu viele Jahre vergangen.«
»Willst du gleich laufen und dir den Goldschatz anschauen? Fortunato heißt er, weil er ein solches Glück hatte. Der Cura war in der Nacht noch da, um ihn zu taufen.«
Anavera schwang sich aus dem Sattel und streichelte Aztatl die Stirn bis hinunter auf die Nüstern. »Nein, ich muss erst mein Windpferd versorgen, aber ich werde
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