Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
Dein Liam Fitzgerald ist nichts weiter als ein blaublütiger Bettler im Offiziersrock. Er ist pleite, genau wie wir, genau wie viele der alten Familien. Das Geld der Fitzgeralds reicht gerade einmal aus, um den beiden Söhnen das Studium an der Akademie zu finanzieren. Wenn sie Glück haben, liegt eine Karriere vor ihnen, die ihr Auskommen sichert. Unser Geld reicht, um dir eine schöne Hochzeit zu ermöglichen und hoffentlich unser eigenes Überleben zu gewährleisten. «
Johanna glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. » Wir haben kein Geld? Aber was ist mit den Besitzungen in Irland und unserem Landgut? «
» Es ist eine einzige Katastrophe. Die Früchte faulen auf dem Feld, die Pächter verhungern. Wer uns nicht bestiehlt, flieht. Nach Amerika, Australien und weiß Gott wohin. So sieht es aus. Seit drei Jahren bringen die Güter nichts mehr ein. «
Johanna schüttelte den Kopf. Sie war doch noch vor einigen Tagen neue Kleider kaufen gegangen, und niemand hatte sie ermahnt, sich zurückzuhalten!
» Warum hat mir keiner etwas gesagt? «
» Das sind meine Sorgen, Kind. «
» Und was hat das dann mit Mr Fitzgerald zu tun? «
Lord Chester sah seine Tochter ungläubig an. » Wenn du das nicht verstehst, habe ich dich wirklich falsch erzogen. Geh, frag deine Mutter, sie wird es dir besser erklären können. «
Langsam begriff Johanna. Sie würde diejenige sein, die die Familie vor dem Bankrott rettete. Sie, die einzige Tochter. Ein reicher Mann sollte um sie freien, und im Tausch gegen eine Braut würde er seinen neuen Schwiegereltern aus der finanziellen Notlage helfen.
Sie kannte solche Geschichten, davon gab es Dutzende. Ihre Freundin Charlotte war deshalb nun mit einem fünfzehn Jahre älteren, dicken Bankier verheiratet. Man zerriss sich das Maul über sie, wenngleich nur hinter vorgehaltener Hand.
» Das… das können Sie nicht von mir verlangen, Vater « , murmelte Johanna leise und fühlte die ersten Tränen aufsteigen.
» Na, na, Kind. «
Lord Chester sah seine Tochter mitleidig an. Mit einem Seufzer stand er vom Schreibtisch auf, ging zu ihr und legte ihr tröstend eine Hand auf die Schulter.
Johanna sah nicht zu ihm auf. Ihr gerade erwachtes Glück war mit einem Schlag zunichtegemacht.
» Niemand heiratet aus Liebe, Johanna. Diese Schwärmereien sind oft schon nach ein paar Tagen oder Wochen vorbei. Außerdem nehmen sie dir die nötige Klarheit, um einen Mann zu finden, der dein ganzes Leben lang zu dir passt und für dich sorgt. Vertrau auf mich und auf deine Mutter, wir werden jemanden finden, der dich ehren und dir ein gutes Leben bieten wird. «
Johanna ließ sich einen Augenblick von ihrem Vater trösten, dann stand sie auf.
» Ich verstehe schon, Sir. «
» Du bist ein gutes Mädchen. Und jetzt geh und zieh dich um. Wir haben heute Abend Gäste. «
Johanna schlich ohne ein weiteres Wort hinaus. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, sie hatte den salzigen Geschmack von Tränen im Mund. Dahin waren ihre Träume, dahin die Leichtigkeit, die sie vor einem Moment noch zum Schweben gebracht hatte. Sie sollte einen Mann heiraten, den sie nicht wollte. Die Bürde, die Familie zu retten, lag auf ihren Schultern. Jeder Schritt die Treppe hinauf war wie ein Abschiednehmen von ihrer Kindheit. Du hast Verantwortung, hatten ihr die Eltern immer wieder eingebläut, die Welt dreht sich nicht nur um dich. Nein, natürlich tat sie es nicht, aber musste sie Johanna in ihrem irren Lauf mitreißen, damit sie funktionierte, wie es jeder von ihr erwartete? Musste denn mit neunzehn Jahren schon alles zu Ende sein?
Wütend stieß sie die Tür hinter sich zu und hielt die Klinke im letzten Moment fest, um sie leise ins Schloss zu drücken. Johanna hätte so gerne geschrien und geflucht und verhielt sich doch ganz still. Sie ließ sich auf ihr Bett sinken, vergrub ihr Gesicht im Kopfkissen und weinte stumme Tränen.
Es war ihre Trauer. Ganz allein ihre. Warum sollte sie ihren Eltern noch zusätzliche Sorgen machen, sie hatten ohnehin schon genug, dachte sie mit leisem Zorn.
Zwei Tage später saß Johanna im Zimmer ihrer Mutter und starrte mit bitterer Miene auf ihre Hände.
Seit dem ernsten Gespräch im Büro ihres Vaters hatte sie gewusst, dass dieser Moment kommen würde.
Elisabeth Chesters Blick ruhte auf ihrer Tochter.
» Du verstehst also unsere Situation? «
» Ja, Mutter « , entgegnete Johanna gefasst. Es war so, wie ihr Vater angedeutet hatte, und noch viel schlimmer. Sie waren bankrott. Über die
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