Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
Gewehr bei sich. Erst war Johanna erleichtert, denn vor einem Fremden würde Liam eine Auseinandersetzung scheuen. Doch der Mann war kein Unbekannter. Es war Thomas. Sein Anblick lähmte sie, wie es kein Gift je gekonnt hätte.
» Johanna? «
Thomas lief zu ihr. Nun war er zweifelsfrei zu erkennen. » Ein Glück, du lebst! Ich habe dich überall gesucht « , stieß er hervor. » Dann sah ich dich plötzlich an unserem Lager vorbeigehen. «
Er war fast bei ihr, als Liam auf den Weg trat. Sie fühlte es mehr, als dass sie seine Schritte hörte. Thomas hob sofort sein Gewehr.
Johanna wich erschrocken zurück und stieß mit Liam zusammen, der schützend einen Arm um sie legte.
» Fitzgerald? « , keuchte Thomas ungläubig. » Was tun Sie hier? «
Jetzt war der Augenblick gekommen, vor dem sich Johanna immer gefürchtet hatte. Sie musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass Liams Augen mit dem gleichen Hass erfüllt waren wie die von Thomas’.
» Jetzt verstehe ich, jetzt verstehe ich alles. Wie lange triffst du dich schon hinter meinem Rücken mit ihm? Sag es mir, Johanna! « , brüllte er.
Johanna konnte nicht antworten. Ihr Mund öffnete sich zu einem Ausdruck der Hilflosigkeit.
» Meine geliebte Frau, eine Hure! Ich fasse es nicht! Und der Bastard in deinem Bauch ist auch von deinem Buhlen! Vergewaltigt von einem Maori, was für eine tolldreiste Lüge! «
» Ich habe nie gesagt, dass so etwas geschehen ist. Du wolltest es glauben. «
» Ist das wahr, Johanna? « , fragte Liam leise.
Johanna kam nicht dazu, ihm eine Antwort zu geben. Thomas’ Wangen zuckten, als er die Kiefer aufeinanderpresste. Der Gewehrlauf sank tiefer und zur Seite, war jetzt genau auf ihren Bauch gerichtet, und ihr war klar, dass er es tun würde. Thomas zögerte nicht, Menschen, die er hasste, umzubringen, und seine Liebe war nun mit einem Schlag in Hass umgeschlagen. Wenn er sie nicht haben konnte, schien er zu denken, dann sollte sie niemand haben.
Alles verlangsamte sich.
Die Zeit kroch wie eine zähe Flüssigkeit dahin. Thomas drückte den Abzugshahn. Jemand versetzte ihr einen gewaltigen Stoß vor die Schulter. Es knallte im gleichen Augenblick, und Johanna stürzte. Cassio fiel mit ihr.
Liam hatte sie im letzten Moment hinter das Pferd gestoßen, und Thomas’ Kugel hatte nicht sie, sondern das Tier getroffen. Der Wallach riss stöhnend den Kopf hoch, knickte in den Vorderläufen ein und begrub Johannas Beine unter sich. Es war, als würde sie unter einer Lawine verschüttet. Ihre Beine schmerzten höllisch, doch sie dachte nur an eines: Das verwundete Tier durfte sich in seiner Pein nicht wälzen und so sie und das Kind erdrücken. Cassio blieb ruhig. Er hob den Kopf und sah sie aus großen blauen Augen an, als wolle er sich entschuldigen.
Liam hatte unterdessen Säbel und Pistole gezogen und baute sich schützend zwischen Johanna und Thomas auf, der noch immer eine Kugel im Lauf seines Gewehrs hatte.
» Geh aus dem Weg, Fitzgerald! « , brüllte er.
Liam schoss. Die Pistolenkugel ging fehl. Kurz sah Johanna das Gesicht ihres grimmig entschlossenen Ehemannes. Ein Funke, eine kleine Explosion. Der zweite Schuss, und sie wurde wie durch eine eiserne Faust zurückgeschleudert. Eine Faust, die ein Messer tief in ihren Oberarm rammte.
Johannas Schmerzensschrei entfesselte etwas in Liam. Er warf die nutzlose Pistole nach seinem Gegner. Thomas wich aus. Sein Blick sagte alles. Johanna lebte noch, und das durfte nicht sein. Ihr Tod war ihm wichtiger als Liams.
Mit erhobenem Säbel stürmte Liam auf Thomas zu und legte alle Kraft in den Schlag. Die Klinge traf auf den Gewehrlauf, mit dem Thomas sich verteidigte, und rutschte daran ab. Funken sprühten. Liams Handgelenk ächzte unter dem harten Aufprall.
Mit einer Drehung brachte er sich aus der Reichweite seines Gegners, und der Gewehrkolben schwang genau dort ins Leere, wo eben noch Liams Kopf gewesen war. Thomas kämpfte verbissen, befeuert durch die Kraft des Hasses. Er würde unter keinen Umständen aufgeben, bevor er Johanna für ihre Untreue mit dem Tod bestraft und ihren Liebhaber ermordet hatte.
Liam griff Thomas erneut an. Doch solange es ihm nicht gelang, die Klinge einzusetzen, hatte er Thomas gegenüber, der sein Gewehr mit beiden Händen wie eine Keule schwang, das Nachsehen. Seine Rechte ermüdete und brannte bis in den Arm hinauf. Schon nach dem Gefecht mit den Maori waren die Muskeln verhärtet und schmerzhaft geschwollen gewesen.
Liam drang heftiger auf
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