Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
ungeborene Kind in ihrer Mitte, genauso hatte sie es sich die ganze Zeit gewünscht.
Liam vergrub sein Gesicht in ihrem Haar und wisperte ihren Namen. Sie legte den Kopf in den Nacken, begegnete kurz seinem Blick, der schon weniger gespenstisch war. Sie küssten sich erst vorsichtig, dann immer heftiger. Hungrig, nach Leben und nach einander. Er riss sie meilenweit fort aus dieser Welt. In die Wärme des anderen einzutauchen war so viel mehr und machte Worte überflüssig. Schließlich fassten sie sich bei den Händen und machten sich an den Abstieg.
Es ging langsam voran. Liam hinkte, und Johanna musste vorsichtig sein, um nicht auf den Saum ihres Kleides zu treten und am Ende noch zu fallen.
Tamati erwartete sie wie verabredet am Fuß des Hügels. Er begrüßte Liam kurz.
» Ich sehe, Sie haben sich gefunden. Wenn Sie meine Hilfe nicht brauchen, Mrs Waters, dann ziehe ich es vor hierzubleiben. Es sind viele Männer gefallen, und unsere Tradition erfordert, dass wir ihnen mit einer Zeremonie die letzte Ehre erweisen. Ich habe zwar nicht an ihrer Seite gekämpft, aber ich bin ein Maori. Wir haben verloren. Mein Herz ist voller Trauer. «
» Was ist mit Hariata? «
» Sie empfindet wie ich, Ma’am. «
» Bleibt hier und nehmt Abschied. Aber ich will und kann keine weitere Nacht an diesem Ort verbringen. «
Er nickte und fasste seinen Speer fester.
» Auch das verstehe ich. Ich bin im Pa, wenn Sie mich suchen. «
» Und ich in Petre. Wenn du mich nicht bei den Soldaten findest, hinterlasse ich eine Nachricht in dem kleinen Gasthof, bei deiner Cousine Miri. «
Tamati wandte sich ohne ein weiteres Wort ab, und Johanna wurde erst jetzt klar, wie schwer es in den vergangenen Wochen für den stolzen Mann gewesen sein musste. Johannas und Hariatas Anwesenheit hatten ihn in die seltsame Situation gebracht, sich neutral verhalten zu müssen. Sonst hätte er sich sicherlich bereitwillig Te Maamkus Sache angeschlossen, er verehrte den alten Kämpfer wie einen legendären Streiter aus den Mythen seines Stammes.
Von der Festung aus führte ein breiter Weg zum Feldlager der Soldaten und den Unterkünften der Siedlermiliz. Immer wieder wurden Johanna und Liam von Karren und Reitern überholt, andere kamen ihnen entgegen. Maori und Pakeha saßen an Lagerfeuern und feierten gemeinsam den Sieg. Manche Eingeborenen hatten den Krieg genutzt, um sich auf der Seite der Weißen gegen den einflussreichen Häuptling zu erheben.
Als der Weg in eine weite Lichtung überging, führte Liam Johanna ein Stück über das vom Abendtau feuchte Gras. Sie folgte ihm verwundert. Der Whanganui River rauschte ganz inder Nähe. Es war nebelig und die Luft frisch von seinem Atem.
» Johanna, wir können nicht als Paar in das Lager gehen « , begann er mit belegter Stimme. » Du bist eine verheiratete Frau. «
» Das ist unwichtig. Ich hätte niemals tun sollen, was meine Eltern sagten. Ich habe lange für diese Entscheidung gebraucht, doch jetzt habe ich Thomas Waters verlassen, es ist vorbei. « Johanna lächelte erleichtert. Ja, es war endlich vorbei. Jetzt endlich würde sie so leben, wie sie es sich immer erträumt hatte. Freute er sich denn nicht? Liam wich ihrem Blick aus. Wahrscheinlich war es nur die Nachwirkung des blutigen Gefechts, doch nein, etwas bereitete ihm Unbehagen. Johanna drückte seine Hand fester, hatte plötzlich Angst, dass sie sie loslassen müsste.
» Was ist passiert? « , fragte sie.
Liam seufzte.
» Ich kann nicht riskieren, dass man uns zusammen sieht und Gerüchte aufkommen. Du musst verstehen, Johanna… Ich habe vor einigen Wochen geheiratet. Adam ist mein Schwager, und wenn er noch lebt, dann ist er dort. «
» Du… du hast geheiratet? « Johanna fühlte sich, als hätte ihr jemand mit aller Kraft ins Gesicht geschlagen. Sie taumelte zurück. Auf einmal rauschte der Whanganui in ihren Ohren betäubend laut.
Liam war verheiratet! Die Hände in den Rock vergraben, eilte sie zum Weg zurück. Liam versuchte, sie aufzuhalten, doch sie schüttelte seine Hand ab.
» Es ist nicht so, wie du denkst, Johanna! «
» Du hast geheiratet, was soll daran nicht so sein, wie ich denke. «
Sie schlug die langen Wedel einiger junger Nikau-Palmen zur Seite und lief zurück auf den Weg. Der Mond übergoss alles mit einem gespenstisch blauen Leuchten.
Deshalb glaubte Johanna zuerst, dass auch der einsame Mann auf dem Weg nur ein Trugbild der Schatten war, die die Palmen warfen. Doch der Mann war echt, und er trug ein
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