Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
der Suche nach seinem Bruder.
Doch er suchte nicht nach Duncan, ihn würde er nie wiederfinden. Adam war noch hier irgendwo.
Jeder einzelne Muskel schmerzte, als Liam den steilen Anstieg in Angriff nahm. Warum musste dieses verdammte Pa nur auf einem Hügel stehen?
Auf sein Gewehr gestützt, hinkte er aufwärts auf den nächsten Toten zu.
Endlich wurde das Tor geöffnet. Johanna konnte kaum glauben, dass der Kampf vorbei und sie in Freiheit war. Te Maamku und seine Maori hatten verloren. Als die Soldaten eine kleine Kanone heraufbrachten und die schützenden Palisaden zersplitterten, war der Kampf entschieden gewesen.
Gemeinsam mit Tamati durchquerte sie das Tor. Englische Soldaten liefen mit Bahren umher und trugen Verwundete davon. Johanna stürzte zum nächsten Uniformierten, den sie sah.
» Entschuldigen Sie, Sir! «
Der Mann hielt inne. Er war schlank und hochgewachsen, das Gesicht weich und jung. Irritiert sah er sie an. Seine Augen waren die eines alten Mannes. » Ma’am? «
» Ich suche nach jemandem. « Angst jagte durch Johannas Herz, was, wenn sie sich geirrt hatte, was, wenn er gefallen war? Doch Tamati hatte es bestätigt. Ihr Geliebter war an dem Sturm auf die Festung beteiligt gewesen. Er hatte ihn deutlich gesehen.
» Kennen Sie Liam Fitzgerald, einen Offizier? «
» Wir sind aus Petre, bei uns gibt es keinen mit dem Namen, aber aus New Plymouth haben sie ein paar Dragoner herkommandiert. «
Johanna beschrieb Liams Pferd, es war so auffällig, dass es jemand gesehen haben musste, doch der junge Soldat mit den alten Augen zuckte nur mit seinen Schultern. » Entschuldigen Sie, meine Kameraden brauchen mich. «
Johanna sah ihm hinterher, wie er mit seiner Trage davonstolperte.
» Teilen wir uns auf, Tamati. Er muss hier sein. «
Der Maori nickte. Er wusste, wann er eine Chance hatte, ihr etwas auszureden, und wann nicht.
» Seien Sie vorsichtig, wir treffen uns am Fuß des Hanges. Bald ist es zu dunkel zum Suchen. «
Johanna ging vorsichtig. Sie durfte nicht fallen. Zwischen dem Pa und dem ersten Palisadenwall lagen ausschließlich tote Maori. Sie versuchte, all die Grausamkeiten nicht an sich heranzulassen.
» Liam! Liam Fitzgerald! « , rief sie immer wieder, doch es kam keine Antwort. Ihr Ruf mischte sich mit denen anderer. Soldaten, die nach ihren Kameraden riefen, Frauen, die ihre Ehemänner suchten.
Johanna kam an einer Blonden vorbei, deren Suche ein Ende gefunden hatte. Sie war neben einem verrenkten Körper in den Schlamm gesunken und betastete mit zitternden Händen das Gesicht eines Mannes. Es war ein Kämpfer der Siedlermiliz, seine Haut schon aschfahl. Die Frau drückte eine Hand auf die große Wunde in seinem Unterleib, doch die Hilfe kam viel zu spät. Johanna riss sich von dem grausigen Anblick los. Im gleichen Moment schnaubte weiter hangabwärts ein Pferd. Ihr Blick wurde magisch angezogen. Durch den Nebel leuchtete ein heller Fleck. Weißes Fell, auffällig wie eine Laterne in der Nacht. Leichter Wind kam auf, und der Schwarzpulverrauch lichtete sich. Cassio.
Eine dunkle Gestalt hinkte gebeugt vorweg und zog den Wallach am Zügel. Als das Pferd den Kopf abwandte, waren beide kaum noch zu sehen. Johannas Herz tat einen Sprung. Es war Liam, er musste es sein, und er lebte!
» Liam, warte! « Sie hob ihren Rocksaum und eilte den Hang hinab, so schnell es der morastige Boden erlaubte. » Liam! «
Der Mann, ein Schemen nur, blieb stehen. Er war es wirklich! Johanna hielt im Laufen inne. Plötzlich fürchtete sie, die Gestalt würde sich wieder im Dunst auflösen.
Liam starrte sie an. Sein Gesicht war schmal und eingefallen. Der Krieg hatte allen Soldaten den gleichen Ausdruck ins Gesicht geschnitten. Die Augen des Schotten sprachen von Verlust.
» Johanna? « , stotterte er ungläubig. » Was machst du hier? Hast du Adam gesehen? «
» Adam? Adam Bellinghouse? Nein, ist er hier? «
» Ich weiß es nicht. «
Jetzt trennten sie nur noch ein paar Schritte. Sie hatte sich so sehr danach gesehnt, ihn wiederzusehen, und jetzt verlief ihr Zusammentreffen so ganz anders, als sie es sich vorgestellt hatte. Liam musterte sie, als könne er nicht glauben, dass sie plötzlich auf dem Schlachtfeld vor ihm stand.
Johanna sehnte sich danach, ihn zu berühren. Sacht legte sie ihre Hand auf seine Schulter und schmiegte das Gesicht an seine Brust. Liam schien wie aus einem schlechten Traum zu erwachen und schloss sie seufzend in die Arme. Die Wärme, seine und ihre, und das
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