Im Taumel der Herzen - Roman
hatte sie mit ernster Miene gezischt. »Bitte hör auf, dich nach der Frau eines anderen Mannes zu verzehren, Richard! Malory wird es sich nicht gefallen lassen, wenn du dich noch einmal an sie heranmachst. Komm endlich zur Vernunft, sonst muss ich um dein Leben bangen!«
»Wer hat behauptet, dass Liebe etwas mit Vernunft zu tun hat?«, hatte damals seine Antwort gelautet, die ihr im Gedächtnis haften geblieben war. Sie wiederholte sie nun für ihren Mann.
»Du weißt am besten, wie viel Wahres darin liegt«, fügte sie hinzu. »Denk nur an deinen eigenen Fall! Immerhin warst du selbst mal ein eingefleischter Junggeselle mit einem Liebchen in jedem Hafen.«
Da sie keine Antwort bekam, sah sie hoch und bemerkte den »Warteblick«, mit dem er sie fixierte und der, wie ihr nun klar wurde, nichts mit ihrer letzten Bemerkung zu tun hatte. Grinsend schlang sie ihre Arme um seinen Hals.
»Doch, ich habe durchaus gehört, was du gesagt hast«, erklärte sie. »Kannst du tatsächlich an nur zwölf Händen abzählen, wie viele Male du mich deine ›einzig wahre Liebe‹ genannt hast?«
Durch ihre Worte versöhnt, erwiderte er ihre Umarmung, während er entgegnete: »Nein, da habe ich stark untertrieben. Aber was deine letzte Bemerkung betrifft: Es gab einen guten Grund, warum ich ein eingefleischter Junggeselle war. Ich war fest entschlossen, keine Frau den Qualen auszusetzen, die meine
Mutter durchleiden musste. Ständig starrte sie wehmütig aufs Meer hinaus und wartete auf ein Schiff, das nur selten den Weg nach Hause fand. In all den Jahren ist mir kein einziges Mal in den Sinn gekommen, dass ich eine Frau finden könnte, die gern an meiner Seite segeln würde. Ich weiß zwar, dass die Frau meines Bruders Warren mit ihm segelt, habe aber nie damit gerechnet, ebenfalls einen solchen Glückstreffer zu landen. Trotzdem hast du recht, wenn du sagst, dass Liebe sehr unvernünftig sein kann. Mich hat sie all meine ach so unerschütterlichen Prinzipien vergessen lassen. Sie kann derart unvernünftig sein, dass ich zweifellos sogar die See für dich aufgegeben hätte. Mein Gott, ich fasse selbst nicht, dass ich das gerade gesagt habe, aber dir ist hoffentlich klar, dass es stimmt!«
Plötzlich übermannten ihn so heftige Gefühle, dass er Gabrielle zwischen seinen Armen fast erdrückte, woraufhin sie ihm rasch versicherte: »Das wirst du nie müssen. Ich liebe die See ebenso sehr wie du.«
»Ich weiß, und mir ist auch durchaus bewusst, was für ein Glückspilz ich bin. Und was deinen Freund betrifft … Findest du nicht, dass du dir für heute genug Sorgen um ihn gemacht hast?«
Sie seufzte. »Ich wünschte, ich könnte damit aufhören. Ich habe nur solche Angst, dass er, wenn er deine Schwester wiedersieht, alle Vorsicht in den Wind schlägt und …«
»In diesem Fall wäre James nicht sein einziger Gegner«, unterbrach er sie in warnendem Ton, »das ist dir doch bewusst, oder?«
»Ja.« Wieder seufzte sie.
»Ich könnte ihn und Ohr immer noch über Bord werfen – mit einem Dingi, versteht sich. Bis sie damit nach England gerudert sind, ist es für uns schon wieder an der Zeit, die Rückreise anzutreten. Problem gelöst.«
Obwohl sie wusste, dass er das nicht ernst meinte, sondern nur versuchte, ihre sorgenvollen Gedanken zu vertreiben, konnte sie die unheilvollen Vorahnungen einfach nicht abschütteln. Es mochte mit irgendwelchen Taten aus Richards Vergangenheit zusammenhängen, oder mit den Drohungen, die er wegen einer Frau provoziert hatte, die er zu lieben glaubte. Jedenfalls befürchtete Gabrielle, dass etwas Schlimmes passieren könnte und es dann ihre Schuld wäre, weil sie Richard nach England zurückgebracht hatte.
4
R ichard zog seinen Hut tief ins Gesicht. Dabei hatte er eigentlich gar keine Angst, erkannt zu werden. Im Londoner Hafen? Wohl kaum. Dennoch wäre es unklug, frech sein Gesicht zur Schau zu stellen, nur um das Schicksal herauszufordern. Warum das Risiko eingehen, dass dies der eine von tausend Tagen sein könnte, an dem ein alter Bekannter von einer Auslandsreise zurückkehrte und dabei ausgerechnet in diesem Teil des Hafens anlegte?
Er hatte sich seines Überziehers entledigt, weil es mittlerweile zu warm dafür war, und trug seine übliche Schiffskleidung – bequeme Sachen, in denen man gut arbeiten konnte. Sein langärmeliges weißes Hemd hatte einen tiefen V-Ausschnitt und war so weit, dass es ihm viel Bewegungsfreiheit ließ. Von einem Gürtel zusammengehalten, fiel es locker über
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